Verlaufen. Verstehen. Verwandeln. Im Wortlabyrinth.
Intertextuelle Erkundungen zu wort.bruchs "Nenn mich Papagenos Teufel": Mit Burroughs, Mozart und Borges, in der Hauptsache.

Assoziative Begegnung mit wort.bruch
Toller Beitrag! Habe ich sehr gern gelesen :)
Ich lese den Text von
, es ist ca. 22 Uhr abends, ich habe die letzten 6 Stunden mit kranker Tochter verbracht, dabei Precht über das Schulwesen gelesen (keine erfreuliche Lektüre). Sie hatte Fieber, Schniefnase und mega schlechte Laune. Sie ging mir hart auf die Nerven.Ich verstehe den Text nicht. Wat labert die?
Ich denke: I can feel the heat closing in. Ich denke: Burroughs. Den hab ich auch schon nie verstanden. Den alten Ficker. Ich erinnere mich, wie mir der Vater eines Freundes mal erzählte, er habe Burroughs bei einem Event noch getroffen und dieser habe vollkommen paranoid und mit einem Gewehr über den Knien dagesessen, lebendiger Leichnam. Ich denke to burrow. Ich denke: Eine Fähigkeit bei Starcraft, die man für seine Zerglinge entwickeln konnte. Und ich denke: Buried Alive. Die Magic: the Gathering Karte. Und ich denke den HIM-Song. Die Assoziationskette endet nicht. Meine erste Freundin. Das erste Mal bewusst Him gehört. Das erste Mal Travis. 12 Memories. Was waren wir kleine Emos. Hat uns nicht geschadet, oder? Und Emus. Die Geistervögel. Aus dem Land meiner Geburt. Die nicht rückwärts gehen können. Darum im Wappen, zusammen mit den Kängurus. Marc-Uwe Kling. Don’t get me started.
Ich bin vielleicht unfähig, etwas außerhalb seiner Intertextualität zu begreifen.
Erste Sätze und Nostalgie
Ich lese noch einen anderen Text auf Substack. Ich verstehe ihn, aber er langweilt mich. Ich finde keine intertextuellen Bezüge. Oder andere Bezüge. Er ist ganz angenehm zu lesen, schön geschrieben, aber … es ist wie ein Buch, das du liest und dann klappst du es zu und stellst es ins Regal oder wirfst es in den Mülleimer oder lässt es im Zug liegen und jedenfalls ist es sofort nur noch Teil deiner Vergangenheit und nicht deiner Zukunft und in wenigen Monaten hast du schon den Namen des Autors vergessen.
Imme Dros. Die Reisen des listigen Mannes. Das Gegenteil. Nie was anderes von ihr gelesen. Nie den Namen vergessen. Die Geschichte hat mich umgehauen. Einfach nur fucking umgehauen. Als ich klein war, gingen meine Eltern oft abends aus, tanzen. Ungefähr so, der erste Satz.
Erste Sätze! Mein eigener: Mitunter kommt es uns so vor, als zöge sich durch unser Leben, durch all die Jahre — denn entgegen der allgemeinen Ansicht … usw. eine kleine Abschweifung — ein roter Faden. Ich nannte die Geschichte Marion, dann nannte ich sie Glaubst du an mich, glaube ich an dich (ein Zitat aus Jesus Christ Cyberstar – der Gott im Netz), und ich habe noch immer vor, sie so zu überarbeiten, dass man sich nicht dafür schämen müsste, aber ich glaube, wenn ich eines Tages mal wissen will, wie unfassbar romantisch ich mit 17, 18 war, dann werde ich mir das noch einmal durchlesen und ich werde mich erinnern und darauf freue ich mich schon. Ich weiß noch, zu Beginn gab es eine theatralische Bibelverbrennung und zudem habe ich in jedes Kapitel in alphabetischer Reihenfolge ein Fremdwort eingebaut. Bei G war es das Wort Galan. Das Marion dem Protagonisten, Lars, gegenüber verwendet und er versteht es nicht, traut sich aber nicht, das zuzugeben.
Bei Imme Dros war eine der Pointen, dass seine Eltern dann reich wurden und nicht mehr tanzen gingen und auch nicht mehr glücklich waren…
Wo war ich aber stehen geblieben?
Die Zauberflöte
Ach ja, ich ging schlafen und die Nacht war unerfreulich. Das Biest weckte mich stündlich, wollte trinken, wolle sich ausziehen, wollte zugedeckt werden, etc. morgens um 5 Uhr wollte sie etwas essen, nämlich Apfel. Morgens um 6 Uhr wollte sie etwas Warmes essen. Es war nicht aus ihr herauszukriegen, was. Ich schaffte es nicht, aufzustehen. Sie fing an zu weinen. Gott, ging sie mir auf die Nerven. Sie krabbelte weinend zur Mama und schlief wieder ein. Gott sei Dank, mit schlechtem Gewissen tat ich es ihr nach. Das Einschlafen, nicht das Krabbeln.
Ich wache auf, es ist vielleicht 8 Uhr und lese den Text, den ich nicht verstanden habe, erneut. Ich verstehe ihn ein bisschen mehr. Ich verstehe aber nach wie vor nicht den Bezug zu Papageno (Der Ärmste kann von Strafe klagen, denn seine Sprache ist dahin, hmhmhhmhm…). Ich hatte eine Phase, vielleicht vor ca. 1,5 Jahren oder so, da hab ich meinen Kindern ein Kinderbuch über die Zauberflöte geschenkt, das mir zufällig von Amazon empfohlen worden war (so genau weiß ich nicht mehr, wie das zustande kam, aber ehrlich bei all dem Hate über Amazon, ich finde, solange man es als Buchhändler benutzt, ist es voll okay, weil es das ursprünglich war, und zudem liefert es kostenlos nach Belgien; Amazon hat mir auch Iain McGilchrist empfohlen btw., also was soll ich sagen, Dankeschön Jeff!), das mich tief beeindruckt hat. Zudem hat die Musik mich sehr berührt. Ich habe viel geweint. (Doch schöne Damen saget an, wie man die Burg wohl finden kann, wie man die Burg, wohl finden kann wie man die Burg wohl finden kann… Ja, vor allem dieses Quintett hat mich massiv beeindruckt.)
Ich kaufte mir eine Erwachsenenversion als Schallplatten und hörte rauf und runter. Stellte fest, dass mir die zweite Hälfte insgesamt weniger gut gefällt, aber die beiden Arien der Königin der Nacht sind natürlich der Hammer. Es amüsiert mich ein wenig, dass Monostatos in den modernen Versionen kein “Moor” mehr ist. So wie Othello manchmal keiner mehr ist. Dafür ist Sarastro so “latte macchiato”… Ich verstehe diese Anwandlungen, aber ich denke nicht, dass sie den Rassismus überwinden werden und denke auch nicht, dass sich bei Mozart oder Shakespeare Rassismus zeigt,1 zumal beide Charaktere durchaus ambivalent sind. Monostatos ist schließlich ein Diener Sarastros, und Othello ein tragischer Held und der eigentliche Schurke ist die Königin der Nacht respektive Iago. Nun denn…
Kommen wir zur Sache selbst (Permutationen)
Der Text von wort.bruch beginnt mit einer dicken, fetten Lüge, egal wer da spricht:
„Es gibt nichts mehr zu finden für mich, ich habe alles gefunden.“
Das ist natürlich Absicht. Der Text wird für mich verständlicher, wenn ich mich an Borges‘ „Der Unsterbliche“ erinnernd2 — eine Geschichte, wir erinnern uns, die in der ursprünglichen Sammlung Das Aleph direkt am Anfang steht und gefolgt wird von „Der Tote“ (und ich habe mich immer gefragt, ob das beabsichtigt war von Borges) —, davon ausgehe, dass sich, wie Borges es formuliert,
in ihr die Erlebnisse zweier verschiedener Menschen vermengen.
Also versuchen wir es mit einer Permutation. Nehmen wir den Anfang und stellen wir uns vor, da sprechen eigentlich drei:
1 Es gibt nichts mehr zu finden für mich, ich habe alles gefunden.
2 Schneide die Fäden ab, wie andere ihr Schamhaar – präzise, akkurat, kein Streifen. Ich ziehe blank.
3 Rammstein und Tschaikowsky in den Ohren, Pilotenbrille auf der Nase, meine nackten Beine schweben über die Autobahn.
1 Stadt, Land, Fluss – bei letzterem scheitere ich immer.
2 Ersetze deinen Namen auf meiner Hand, ein kleines Kreuz daneben – was darf ich nicht vergessen? Ich habe es vergessen.
3 Dreh die Musik lauter, dreh dich nicht um. Eure Blicke sind Dornen im Rücken, treiben mich schneller fort.
1 Mit jedem Schritt wird mein Atem tiefer, mein Lächeln breiter, meine Brust leichter.
2 Es ist egal, wohin ich flüchte. Ich flüchte immer vor euch, nie vor mir.
3 Denn mich nehme ich mit und bin so zufrieden. So eins mit mir. So ruhig bei mir. So frei von euch. So frei bin ich.
1 Ich gehe. Ich gehe so schön. Ich gehe so gern.
2 Und dann bin ich gegangen. Und dann habe ich gesehen. Und dann war ich schön.
3 Dein Vogelfänger hat die schönsten Vögel gefangen.
Das ergibt:
1 Es gibt nichts mehr zu finden für mich, ich habe alles gefunden. Stadt, Land, Fluss – bei letzterem scheitere ich immer. Mit jedem Schritt wird mein Atem tiefer, mein Lächeln breiter, meine Brust leichter. Ich gehe. Ich gehe so schön. Ich gehe so gern.
2 Schneide die Fäden ab, wie andere ihr Schamhaar – präzise, akkurat, kein Streifen. Ich ziehe blank. Ersetze deinen Namen auf meiner Hand, ein kleines Kreuz daneben – was darf ich nicht vergessen? Ich habe es vergessen. Es ist egal, wohin ich flüchte. Ich flüchte immer vor euch, nie vor mir. Und dann bin ich gegangen. Und dann habe ich gesehen. Und dann war ich schön.
3 Rammstein und Tschaikowsky in den Ohren, Pilotenbrille auf der Nase, meine nackten Beine schweben über die Autobahn. Dreh die Musik lauter, dreh dich nicht um. Eure Blicke sind Dornen im Rücken, treiben mich schneller fort. Denn mich nehme ich mit und bin so zufrieden. So eins mit mir. So ruhig bei mir. So frei von euch. So frei bin ich. Dein Vogelfänger hat die schönsten Vögel gefangen.
1 erzählt uns offensichtlich von einem Suizid. Vor allem das Stadt, Land, Fluss… 2 erzählt uns ebenfalls von einem Suizid, allerdings sozusagen im Nachhinein. 3 hingegen ist nur Emo, macht also lediglich einen auf Summer Time Sadness sozusagen.
Was natürlich alles Unsinn ist. I can feel the heating closing in. Ich erinnere mich an eine Art Party-Szene, wo jemand um einen Teller bittet, darauf scheißt, die Scheiße frisst,
exclaiming: Ah, that’s my rich substance …
Alternativ, so also, könnte man sagen, — ich denke dabei an Philippe Jaccottet, Notizen aus der Tiefe, und an Martin Walser, Mein Jenseits, die wenig gemeinsam hatten, nur dass ich sie fast zeitgleich las, (und dennoch, einer schreibt da noch auf Wolken) —, im Nachhinein: Vielleicht hat sich die Autorin da auch einfach warm geschrieben. Ich kann es nicht leiden, wenn diese Sätze so allein dastehen und es keine vollwertigen Absätze ergibt. Und 12 lässt sich nicht nur durch 3 teilen, sondern auch durch 4, oder 6, oder sogar 12. 12 Stimmen, für jedes Sternzeichen, für jeden Jünger, für jede Weltanschauung eine.
that’s my rich substance.
Den schönsten Vögeln hat man die Federn ausgerupft, um sich zu schmücken. Verschont blieben, vielleicht, die unscheinbaren, die aber singen konnten. Ach, sie sangen so schön, so unsaglich schön, aber es bleibt unklar, ob Papageno selbst eigentlich eine Art Vogel ist, oder ein Mensch. Tamino zweifelt und Papageno scheint ein wenig Angst davor zu haben, für einen Vogel gehalten zu werden. Obwohl er schon ein komischer Vogel ist. (Der, das sei nebenbei bemerkt, ebenfalls einen Suizid wagen will, dabei aber auch mehr Summer Time Sadness mäßig unterwegs, denn kurz darauf singt er schon vergnügt: „Ich Narr vergaß das Zauberding“. Und ercheatet sich seine Papagena.)
Noch einmal die Zauberflöte
Ich schrieb diese Zeilen und dann hatte ich mich bei dem kleinen Biest angesteckt und lag darnieder. Zufällig schleppte ich mich dazwischen aber eines Abends, lange war es geplant, mit der Älteren in eine Vorstellung der Zauberflöte.
Ich will mich darüber nicht länger auslassen, aber wenn man sich das Stück anschaut, merkt man erst, wie zentral eigentlich Papageno ist und Tamino ist fast nicht viel mehr als ein Statist, der zwar gut die Fresse halten kann, sonst aber eigentlich nicht viel. Insofern könnte man Mozart unterstellen, dass er hier schon das Männlichkeitsideal verbiegt, das offiziell noch besungen wird:
Zum Ziele führt dich diese Bahn, Doch musst du, Jüngling, männlich siegen! Drum höre unsre Lehre an: Sei standhaft, duldsam, und verschwiegen!
Nur dass Tamino nicht besonders männlich siegt. Er muss nicht kämpfen. Er muss nur schweigen. Und ertragen. Und für die letzten beiden Prüfungen stehen ihm dann nicht nur sein Zauberding zur Seite, sondern auch die deutlich aktivere Pamina.
Papageno allerdings verkörpert erst recht keine männlichen Ideale, sondern den späteren Schlager vorwegnehmend, dass am besten sei, zu saufen, saufen, saufen… dazu Nahrungsaufnahme und Geschlechtsverkehr.
Nebenbei bemerkt, aus Monostatos hatten die Aufführer eine Ratte gemacht, oder einen Rattenmenschen, allerdings war er damit nicht alleine, sondern die ganze Gemeinschaft um Sarastro herum trug Rattenschwänze. Wurde auch nicht aufgeklärt. Am Ende fahren die Königin der Nacht und ihre Nutten Damen dann auch nicht zur Hölle, oder werden in die Finsternis gestürzt, sondern sie und Sarastro shaken hands…
Das Weib, die Frau, der Wifman
Natürlich dürfen es auch nicht mehr nur “Weib Frau und Mann” sein, die “an die Götter Gottheit” heranreichen, sondern selbstredend auch “Frau und Frau und Mann und Mann” — was Mozart wahrscheinlich nicht weiter gestört hätte. Mich auch nicht. Das müssen wir jetzt nicht tragisch nehmen.
Zeilen wie “Geschwätz, von Weibern nachgesagt, / Von Heuchlern aber ausgedacht” blieben erhalten. Insofern sind die Änderungen recht überschaubar geblieben. Die Frage ist nur, für mich, warum man es überhaupt ändern sollte? Ich formuliere anders: Haben wir dabei ausreichend Chesterton’s Fence beachtet?
Wir erinnern uns — denn alles Wissen ist, siehe Fußnote 1, Erinnern, anamnesis, dass das Wort “Weib” (wîp) ursprünglich das bedeute, was “Frau” (frôwe) heute bedeutet und “Frau” bedeutete damals was “Dame” heute bedeutet. Als die Minnesänger auf die Idee kamen, eigentlich seien alle Weiber edel, und darum Frauen zu nennen, reagierte die Sprache darauf nicht, indem sie zugab, dass alle Frauen edel sind, sondern sich ein neues Wort, Dame, aus dem Französischen importierte, um den Unterschied aufrecht zu erhalten. So (ohn)mächtig ist Sprache.3
Im Altenglischen hieß es statt Weib wīfmann, das sich als woman erhalten hat, und jenes war, der dazugehörigen Grammatik entsprechend, maskulin. Unsere Sprache, das Deutsche, kodiert seiner Genese nach grammatikalisches Geschlecht nicht biologisch. (Und unter anderem darum ist es die Sonne und der Mond, obwohl es in den meisten anderen Sprache anders herum ist.) (Und andernfalls wäre der Mond nach Nietzsche kein Mönch, der lüstern die Erde begafft, sondern eben wohl eine Nonne.) (Und wie ist es mit der Löffel, das Messer, die Gabel? Wäre es biologisch konnotiert, wäre es sicherlich der Messer, die Löffel und das Gabel.)
Zurück zum Text
Ich muss gestehen, ich habe nie verstanden, was Literaturwissenschaft eigentlich genau macht. Ich habe das zwar mit ziemlich großem Erfolg studiert, aber ich hatte immer den Eindruck, dass die Literaturwissenschaftler es einfach hot fanden, also die Dozenten, vielleicht auch die Studenten, darauf habe ich nicht geachtet, dass ich Philosophie kannte und konnte. Also habe ich einfach philosophische Facharbeiten in Literaturwissenschaft geschrieben und das kam sehr gut an.
Wenn ich einen Literaturwissenschaftler wie z.B. Harold Bloom lese, den ich durchaus schätze, dann verstehe ich im Grunde genommen nicht, was er da eigentlich tut. Es scheint eine Mischung aus einer Literaturproduktion und Philosophie und Geschichte und tja… allem möglichen zu sein.
Und ich vermute, dass man darum in der Schule so etwas dämlich macht, wie Anaphern und Alliterationen in Texten herauszusuchen um dann so Sätze zu formulieren wie:
Die mehrfache Verwendung von "Sie” ist eine Anapher. (Muss lachen. Das gibt es wirklich, man könnte es sich nicht ausdenken.) Damit betont der Autor, dass es sich um eine Frau handelt. (Lacht nicht.)
Egal. Ich vermute, man kann diesen Text nicht wirklich verstehen, aber man kann ihn empfinden lernen. Die Pointe von Adornos Versuch, das Endspiel zu verstehen ist es ja gerade, dass man es nicht “verstehen” kann. (Und ich wollte darüber mal eine Facharbeit schreiben, die ich Versuch, Adornos “Versuch, das Endspiel zu verstehen” zu verstehen genannt hätte, aber irgendwie hat es sich nicht ergeben.)
Seht ihr, was ich tue? Ich will zum Text zurück und stattdessen (er)finde ich Ausreden, doch noch einmal davor zurückzuschrecken. Was ängstigt mich? (Die Enge, die Angst, don’t get me started…)
ES FOLGT DIE AUFLISTUNG DER WOCHE. Darauf geh ich nicht ein, aber hört selbst. Wenn ihr die Untertitel aktiviert, dann werdet ihr erfahren, dass es sich um “upbeat music” handelt. Herrlich.
Wobei sowohl das Lied als auch das Video etwas Beknacktes haben. Reden wir nicht mehr davon.
Stattdessen widmen wir uns nur geschwinde, nur geschwinde, nur geschwinde dem, was ich einen Bank-Überfall nennen will. (Denkt an Ocean’s 13, falls ihr alt/jung genug seid, daran zu denken.)
Es geht von 5 bis -5 rambazamba, aber warum geht es nicht von -5 bis 5, frage ich mich?! Jedenfalls, ich verstehe das Ganze nicht. Ist die Person gehbehindert? Vertreibt sie sich selbst von einer Bank? Hat sie einen Schlaganfall? Einen epileptischen? Zu viel an Kröten geleckt? “Hey du” erinnert mich natürlich an Qualityland. Und -5 im Ganzen an die Stelle aus T. S. Eliots The Wasteland, wo plötzlich Deutsch gesprochen wird:
… we stopped in the colonnade,
And went on in sunlight, into the Hofgarten,
And drank coffee, and talked for an hour.
Bin gar keine Russin, stamm’ aus Litauen, echt deutsch.
Ach ja, die Russen und die Deutschen. Was das wäre. Don’t get me started…
It’s a cultural thing
Aber ist euch schon einmal aufgefallen, dass Croissants nur in Frankreich wirklich gut schmecken. Also gar kein Vergleich. Ich habe außerhalb Frankreichs noch nie ein Croissant bekommen, dass auch nur ansatzweise so schmeckte, wie in Frankreich. Selbst nicht in französischen Bäckereien. Selbst nicht in verwandten Ländern wie dem wallonischen Teil von Belgien.
Es gibt Dinge, die lassen sich nicht beliebig geographisch im- und exportieren. Und andere Dinge, da geht das. Zum Beispiel McDonalds. Ist überall gleich schlecht und geschmacklos, aber gibt einem irgendwie das Gefühl, man kenne sich aus. (Ich selbst ging gerne, als Student auf Reisen, wenn ich irgendwo ankam, wo ich mich nicht auskannte, erst mal zur Stärkung in den McDonalds, aber das lag auch an meinem bescheidenen Geldbeutel und einem Mangel an Selbstwertgefühl und Abenteuerlust.)
Ich will damit nicht sagen, mitnichten, dass alles schlecht und geschmacklos sei, das sich geographisch invariant zeigt. Shakespeare wird auf der ganzen Welt genossen. Angeblich auch Kafka. Die Zauberflöte. Viele andere Dinge, die hohe Kunst sind. Menschen selbst besitzen eine erstaunliche Anpassungsfähigkeit an neue Umstände, insofern ist es grober Unfug zu behaupten, dass bestimmte Kulturen oder Ethnien grundsätzlich nicht nach Europa gehören. Allerdings stimmt es offensichtlich, dass es nicht anpassungswillige Menschen gibt.
Die Europäer in der frühen Neuzeit fallen mir da sofort als Beispiel ein. Sind überall hingegangen und haben nicht sich den Gegebenheiten angepasst, sondern diese ihnen (wobei ihre vielen ansteckenden Krankheiten, die sie mit sich herumschleppten, durchaus geholfen haben, eine gewisse Ironie der Geschichte). Allerdings kam die Schwarze Pest, die Europa halb ausgerottet hat, aus Asien. Insofern war es wohl schon immer ein Geben und Nehmen…
Literatur und Politik
Ach, Wort.bruch, was tut es mir leid, dass ich ständig an politische Dinge denken muss, während ich über deinen Text nachdenke, der doch gar nicht politisch sein will, sondern literarisch. Aber kann man das überhaupt so klar trennen?
Literatur will doch gar nicht rein schöngeistig sein, sie will doch Menschen bis ins Mark erschüttern. Sie will etwas verändern. Und andersherum versuchen die aktuell laufenden politischen Diskurse ja auch, die gesamte Kultur für sich zu vereinnahmen. Was auch Sinn ergibt, denn unpolitische Kunst würde nur auf dem Fundament einer geteilten Weltsicht funktionieren, auf der man unproblematisch über bestimmte Dinge einfach hinweggehen kann.
Aber wir (als Gesellschaft) haben dafür gesorgt, dass, wie Precht es kürzlich herausgearbeitet hat, gerade der Kulturbetrieb und die Kunstszene keinen Freiraum mehr bilden, sondern einen Angstraum. Künstler trauen sich nicht mehr, einfach ihre Kunst zu betreiben ohne Rücksicht auf Verluste, weil sie zurecht befürchten, dass ihre Kunst skandalisiert wird. Dadurch fehlt unserer Kultur dann aber der Erneuerungsmotor.
Superlative und Mittelhochdeutsch
Du schöner Mensch. Du schönster Mensch.
Wir erinnern uns an den Anfang. Das Wort “schön” begegnet uns insgesamt sieben Mal (in Zahlen, 7, in Worten auch). Zufall? Oder göttliche Fügung? (Denn die 7 ist die Zahl des Christus.)
Ich gehe so schön. // Und dann war ich schön. // Dein Vogelfänger hat die schönsten Vögel gefangen.
Vom Ich zum Du, sozusagen. Martin Buber? Der Text endet in einem, wie soll ich sagen, Lamento? (Denken wir an die Lamentations of Jeremiah von Thomas Tallis.)
Um dann eine gewisse ironische Wende zu nehmen:
Ich bin dein.
Das, mein Freund, was ist das? Ist das Spott? Selbstironie? Was ist es? Hat der Teufel dort geritten? (Papagenos Teufel? Wer ist das? Ich würde vorschlagen Die Königin der Nacht? Ist sie der Teufel? Ein Teufel? Ein Dämon?)
Ich bin ja bekanntlich kein Germanist. (Was daran lag, dass man in Heidelberg, wahrscheinlich auch an anderen Orten (Foucault?!), um Germanistik studieren zu können, Mittelhochdeutsch belegen musste, und dazu war ich nicht bereit, darum habe ich Anglistik studiert, wo man nur einen Überblick über die Sprachentwicklung des Englischen belegen musste, und auch diesen habe ich nur widerwillig gebucht, weil ich dachte, “Vergangenheitsbewältigung verhindert effektiv, dass meine Jungs Fortschritte machen" (Magnolia), aber the joke was on me, weil ich das Thema dann, zur Teilnahme gezwungen, hochgradig interessant fand, interessanter sogar als die allermeisten anderen Kursteilnehmer, und gerade die Lautverschiebungen und der gemeinsame Ursprung von Deutsch und Englisch mich maßlos faszinierten, wie auch der Funfact, dass das Englische (wenn man die wichtigsten 3.000 Wörter betrachtet (Zahl mit Vorsicht genießen, Erinnerungen sind trügerisch) zu 80% romanisch ist, was einerseits mit den Normannen und andererseits mit der Lateinischen Kultur zusammenhängt, dass es aber genau anders herum ist (also 80% germanisch), wenn man nur die 300 wichtigsten Wörter betrachtet. — so, jetzt weiß ich nicht mehr wo ich war.
Ach ja, meine Frau ist aber Germanistin und sie hat Mittelhochdeutsch rasiert, wie man heutzutage sagt, oder vor fünf Jahren noch sagte, was man heute sagt, weiß ich schon gar nicht mehr, aber demnächst werde ich wieder am Puls der Zeit leben, ich bin gespannt darauf, ob meine Schüler tatsächlich “das crazy” sagen. (Und haha, ich bin sooo unfassbar altmodisch, dass ich kurz dachte, man könnte sagen, dass rasieren voll sexistisch sei, weil sich ja nur Männer rasieren müssen, obwohl es heutzutage SEIT LANGEM natürlich anders herum ist, Männer müssen sich nicht rasieren, sondern Frauen (“müssen” gilt natürlich nur im nicht otrovertierten Sinne, und “müssen” ist ja fast immer ein nicht kategorisches Müssen sondern ein hypothetisches).
Aber jedenfalls fiel mir vor Jahren ihr Schulbuch Geschichte der deutschen Literatur in Beispielen: Von den Anfängen bis zur Gegenwart in die Hände, und darin habe ich gelegentlich immer wieder einmal herumgeblättert und zwischen Hildebrandslied und Nokers memento mori auf der einen und den Nibelungen und Parzival auf der anderen Seite (chronologisch) las ich ein wenig Walther von der Vogelweide (geiler Name, klingt noch besser, wenn man alle W und V weglässt, probiert es aus!) —
Und direkt vor Walther das Gedicht Du bist mîn einer unbekannten Verfasserin aus dem 12. Jahrhundert:
Du bist mîn, ih bin dîn:
des solt dû gewis sîn.
dû bist beslozzen in mînem herzen:
verlorn ist daz slüzzelîn:
dû muost immer drinne sîn.
Frei übersetzt: Du bist mein und ich bin dein, dessen sei dir gewiss. Tief eingeschlossen bist du in meinem Herzen, das Schlüsselchen ist verloren, du entkommst mir nicht ;)
Heute würde man vielleicht (möglicherweise zu unrecht) denken: Oha, da klammert aber jemand… Alternativ: Dat is ja sooo romandisch.
Ein letztes Mal die Zauberflöte
Ich las einst das Buch Die Zauberflöte: Oper und Mysterium von Jan Assmann, hauptsächlich, weil ich schon immer mal etwas von Assmann lesen wollte, aber auch in Zusammenhang mit meiner Beschäftigung mit der Oper selbst. Assmann zitiert dort zu Beginn den Germanisten Peter von Matt mit der Sentenz:
“Die Zauberflöte ist neben Shakespeares Trauerspiel Hamlet und Leonardos Bildnis der Mona Lisa das dritte große Rätselwerk unserer Kultur.” (Papagenos Sehnsucht)
Und erweitert diesen Gedanken dahingehend, dass diese Oper sogar metarätselhaft sei, insofern als man “nicht einmal eindeutig anzugeben” wüsste, welches das Rätsel sei, denn eigentlich sei schlicht alles an dieser Oper rätselhaft:
“Da ist zum einen die Frage nach dem Thema: Geht es wirklich vor allem um die Macht der Musik? Spielt die Flöte in der Opernhandlung überhaupt eine so zentrale und tragende Rolle? … Zum anderen drängt sich die Frage nach Wesen und Charakter eigentlich aller Figuren mit Ausnahme des liebenden Paares, Pamina und Tamino, auf: sind es Genien, Feen, Dämonen oder Menschen? Ist Papageno ein halber Vogel? Sind sie gut oder böse? Bleiben sie im Verlauf des Stücks, was sie von Anfang an sind, oder ändern sie ihren Charakter? Diese Frage betrifft vor allem die Königin der Nacht: ist sie Isis? ist sie eine böse Dämonin? Ist sie erst das eine, dann das andere, und wie erklärt sich diese Wandlung? Schließlich changiert die Oper als Ganzes eigentümlich zwischen Märchen und Mysterium, Kinder-Zauberoper und Bühnenweihfestspiel, und keiner zumindest mir bekannten Inszenierung ist es jemals gelungen, diese beiden Aspekte sinnvoll und sinnfällig zu integrieren.” (S. 17f.)
Und so weiter. Was letztlich die Frage aufwirft, ob diese Oper nicht letztlich als misslungen bezeichnet werden muss: Weder Fisch noch Fleisch, sind Rätsel, die prinzipiell nicht zu enträtseln sind, keine Rätsel sondern Absurditäten. Und doch? (Denken wir an den Ausspruch Tristan Reveres (im Film Stay), dass schlechte Kunst tragischerweise besser wäre als gute Kunst, weil sie menschliches Versagen darstelle.)
Und doch können wir nicht aufhören, und tun es auch nicht, uns mit dieser Oper zu beschäftigen. Man könnte ja auch zur Mona Lisa sagen, dass sie längst weggeguckt wurde, aber das stimmt nicht, oder nur zum Teil. Hamlet scheint mir deutlich kohärenter als Die Zauberflöte, und das Rätselhafte von Hamlet ist auf eine vollkommen andere Art und Weise rätselhaft, nämlich wie es sein kann, dass eigentlich jeder Mensch Hamlet ist und dann wiederum auch nicht, und was Shakespeare dazu gebracht haben kann, ein solch zeit- kultur- und epochenübergreifendes Werk zu erschaffen. Mit Hamlet werden wir ja niemals fertig. (Ich selbst werde nicht einmal mit der ersten Szene jemals fertig. Und ich komme nur in den fünften Akt, indem ich alles andere beiseite lasse und mich direkt dorthin begebe (Gehe nicht über Los. Ziehe kein Geld ein.).
Konzentrierte Vertiefung statt Zerstreuung
Insofern könnte man überlegen, ob unser Kulturbetrieb einschließlich Substack nicht eine einzige große Ablenkung ist, von dem, was eigentlich zählte. Aber ich könnte mir vorstellen, dass Substack anders gebraucht werden könnte. Dass man sich vertiefen könnte, statt zu verflachen, und zu verdampfen, und im Hamsterrad einer Content-Produktion einen Herzinfarkt zu erleiden, der mit Zunahme KI-generierter Inhalte immer sinnloser und aussichtsloser wird.
Wenn es um die Produktion von Prosa geht, könnte man vermuten, dass wir genauso Zuspätgekommene sind, wie Nietzsche zu seiner Zeit als Philosoph. Wir stehen am Ende einer Entwicklung und müssten uns eigentlich dem ganz Neuen hingeben, statt das Alte künstlich am Leben zu erhalten. Neuen Wein in neue Schläuche füllen, statt alten.
Was aber zugleich eine Hinwendung zu Klassikern bedeutete. Die Bibel. Homer. Der ganze westliche Kanon im Sinne Harold Blooms. (Wozu auch der Koran gehörte, von dem man vielleicht wissen sollte, was da eigentlich so drinsteht, nicht nur auszugsweise.) Aber wer hat die Zeit? Die Zeit, die Zeit… Aber eigentlich hätten wir ja Zeit, wir sind nur so furchtbar abgelenkt.
Das Neue entsteht nicht durch ein Verwerfen und Vernichten alles Alten, dadurch entsteht stattdessen Barbarei. Das Neue entsteht durch die so tiefe Durchdringung des Alten verbunden mit der objektiven Wahrnehmung der Gegenwart, dass das Neue sich als Metamorphose daraus ergibt.
Der Garten der Pfade, die sich verzweigen
In der Geschichte Der Garten der Pfade, die sich verzweigen lässt Borges — der uns eingangs schon begegnete mit seiner Geschichte Der Unsterbliche — seinen Protagonisten, den chinesischen Spion Yu Tsun, der während des Ersten Weltkriegs in Großbritannien eingesetzt war und die “genaue Stellung des neuen britischen Artillerieparks” durch eine semantisch komplexe List verriet, die Beichte ablegen, oder vielleicht auch die Rechtfertigung seiner Tat geben, wie es dazu kam.
Als Geschichte ist diese Geschichte eigentlich nicht besonders gelungen, da sie zu konstruiert erscheint, voller irrealer Zufälle, die in der zugrundeliegenden Philosophie allerdings eine Art Erklärung haben, nämlich dass es unzählbar viele Realitäten gibt und in einigen davon geschieht eben auch das Unwahrscheinliche… Wenn man die Geschichte als Essay liest, dann wird sie irre gut.
Yu Tsun, dem sein Verfolger schon sehr nahe ist, will einen Menschen ermorden, der zufällig den gleichen Namen hat wie der Ort des Artillerieparks, damit seine Auftraggeber, die Deutschen, aus der Zeitung erfahren können, wo sie zuschlagen müssen. Dies gelingt ihm auch, aber dieser jemand, Dr. Stephen Albert ist “zufällig” Sinologe und hat das Rätsel gelöst, das sich um einen Vorfahren Yu Tsuns, nämlich T’su Pên rankt.
Dieser hatte sich von seiner erfolgreichen Karriere als Gouverneur zurückgezogen, “um einen Roman zu schreiben … und um ein Labyrinth zu bauen, in dem alle Menschen sich verirren sollten.” Das Rätsel ist, dass man nie ein Labyrinth fand und dass der Roman vollkommen unsinnig und fragmentarisch geblieben war, trotz 13 Jahren der zurückgezogenen Arbeit. Die Lösung ist, dass der Roman das Labyrinth ist und dass die Schiffre, die man braucht, um es zu verstehen das Wort Zeit ist, das aber im Roman nicht vorkommt. (Man lese bei Borges nach für die Details.)
Yu Tsun schreibt, er “verstehe ein wenig von Labyrinthen”:
“Ich dachte an ein Labyrinth aus Labyrinthen, an ein gewunden wucherndes Labyrinth, das die Vergangenheit umfaßte und die Zukunft, und das auch die Sterne irgendwie mit einbezog.” (S. 165f.)
Und gibt uns die apokalyptische Warnung mit:
“Ich sehe voraus, dass sich der Mensch täglich zu immer gräßlicheren Taten bereitfinden wird; bald wird es nur noch Krieger und Räuber geben; ihnen erteile ich diesen Rat: Wer ein gräßliches Unternehmen ausführt, muß sich vorstellen, daß er es bereits vollbracht hat; er muß sich eine Zukunft aufzwingen, die so unwiderruflich ist wie die Vergangenheit.” (S. 164)
Mir scheint, dass Yu Tsun das genau falsch herum betrachtet. Versuchen wir einmal, es mit umgekehrten Vorzeichen zu formulieren — denn vielleicht war genau das es, was Borges hat sagen wollen in seinem labyrinthischen Garten der Pfade, die sich verzweigen:
Ich sehe voraus, dass sich der Mensch täglich zu immer edleren Taten bereitfinden wird; bald wird es nur noch Paladine und Pazifisten geben. Sie werden in ihrem Herzen spüren: Wer ein fruchtbares Unternehmen ausführt, etwas wahrhaft Seliges, muss sich vorstellen, dass er es bereits vollbracht hat; er muss sich eine Zukunft konkret vorstellen, die so unwiderruflich ist wie die Vergangenheit.
— Nennt mich Papagenas Engel.
Ich denke, Individualisten, die sich für Menschen vor allem oder sogar ausschließlich als Individuen interessieren, nicht als Typen, können gar keine Rassisten sein, weil Rassismus die Idee zugrunde liegt, dass die “Rasse” oder “Ethnie” oder was man sagen will, einer Person relevanter sei als die Betrachtung der Person selbst.
Hier wird die Geschichte ab Minute 20 vorgelesen. Interessant auch hier für die Intertextualität der Vergleich zwischen wort.bruchs Beginn: “Es gibt nichts mehr zu finden für mich, ich habe alles gefunden.” — und dem der Geschichte von Borges vorangestellten Motto: “Solomon saith: There is no new thing upon the earth. So that as Plato had an imagination, that all knowledge was but remembrance; so Solomon giveth his sentence, that all novelty is but oblivion.” (Francis Bacon, Essays, LVIII). Nebenbei, Oblivion heißt auch ein Lied von Patrick Wolf, das ich durchaus empfehlen kann.
Nachzulesen wäre dies bei Simon & Auer, Politische Korrektheit, Wunschdenken und Wissenschaft: Das Versagen der Universitäten im Diskurs über Sprache (Neu-Isenburg 2024), S. 34f. Die Autoren (für die Woken: eine Dame und ein Herr) beziehen sich ihrerseits auf Die Prinzipien der Sprachgeschichte (1880) von Hermann Otto Theodor Paul (1848-1921) — geiler Name, und ja, Paul ist der Nachname — und dort das Kapitel “Sprachwandel”; und auf das Etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache (Berlin/New York 1967) von Kluge und Götze. Sie kommentieren:
”Würden wir jenen, die im munde führen, dass Sprache ein Abbild der Welt ist, Glauben schenken, dann hätte dieses bessere Wort Einfluss auf die Lebensumstände haben müssen, doch geschichtlich lässt sich keine umfassende, erfolgreiche mittelalterliche Frauenbewegung ausmachen. Die meisten Frauen waren nach wie vor Besitz. [Fußnote: Ebenfalls die meisten Männer, schließlich war die Leibeigenschaft in weiten Teilen Europas noch nicht aufgehoben.]”
Tatsächlich, so die Autoren weiter, ließe sich vielmehr demonstrieren, dass die häufige Verwendung eines ursprünglich abwertenden Wortes dieses abwertende Konnotation verliert, was sie am Beispiel des Begriffes queer und Tunte illustrieren:
“Wie wir am medialen Siegeszug des Grazer Tuntenballs und damit der positiven Verwendung des Begriffs Tunte nachvollziehen konnten, dürfte es schwierig sein, jemanden mit Worten zu beleidigen oder gar zu verletzen, der ebendiese Worte stolz wie eine Monstranz vor sich herträgt: Durch neuen Kontext kommt neue Bedeutung.” (concept creep)
Was die Autoren demzufolge über die weiträumige Streichung des Wortes “Neger” aus Kinderbüchern, wo es nicht abwertend verwendet wird, denken, sei dem Leser als Denksportaufgabe überlassen. Zuletzt hat es Jim Knopf erwischt, der von Herrn Ärmel (der ja nicht gerade der sympathischste Charakter der Geschichte ist) nicht mehr besserwisserisch als kleiner Neger bezeichnet werden darf.
Und natürlich ist es aus ihrer — wie meiner — Sicht vollkommen kontraproduktiv, “N-Wort” statt “Neger” zu schreiben, denn alle, die wissen, was mit “N-Wort” gemeint ist, werden es sowieso als “Neger” und abwertend lesen und alle anderen wird es nur verwirren. Ich bin überzeugt davon, dass die allermeisten Menschen, die “N-Wort” sagen, nie darüber nachgedacht haben, sondern einfach das soziale Spiel mitspielen, bei dem die gewinnen, die am lautesten herumschreien, nicht die, die am tiefgründigsten nachdenken. Ein bescheuertes Spiel, dem man sich als Intellektueller nicht anschließen darf.
Dazu dieses schöne Youtube-Video (vor allem Samuel L. Jackson und Morgan Freeman ab Minute 6):


So mag ich das. Du bist vollkommen verwirrt und weißt nicht was du tust. Ich hoffe Bort-wruch wird hart mit dir ins Gericht gehen.
Deine Texte b****n mein Gehirn durch….ich brauche nach dem Lesen immer fünf Minuten, um mich neu zu kalibrieren und weitere drei Minuten um festzustellen, was ich da überhaupt gerade gelesen habe. Nicht eingerechnet: die unzähligen Male, die ich wieder hochrutsche mit den Augen, um Satzanfang und -ende zusammen zu bringen. Danke dafür! 😁 Macht Spaß!