Ist das Demokratie? Der alte und der neue Bundestag
Weitere dilettantische Überlegungen nebst zwei Ausrastern zur aktuellen politischen Lage in Deutschland
Emmanuel Todd hat in seinem kürzlich verfassten Werk Der Westen im Niedergang den westlichen Ländern einschließlich Deutschland bescheinigt, sie seien nur noch formal liberale Demokratien, de facto aber mittlerweile liberale Oligarchien, in denen es die Hauptarbeit der Politiker sei, die Bevölkerung über diesen Umstand hinwegzutäuschen. Er verweist in diesem Zusammenhang auf den Umstand, dass nicht mehr die Mehrheitsregel gelte, also dass politisch nicht umgesetzt werde, was eine Mehrheit der Bevölkerung wolle. Mithin hätten die Eliten den Kontakt zu den unteren 90% verloren — und diese fühlten sich zunehmend von diesen auch nicht mehr repräsentiert.
Im Kontext meiner aktuellen, intensiven Auseinandersetzung mit Todds Thesen sind mir nun einige Gedanken zum aktuellen politischen Geschehen in Deutschland gekommen, die ich dilettantisch darlegen will.
(Ich weiß, ich sollte es lassen.)
I. Der alte Bundestag soll über eine Grundgesetzänderung abstimmen
Jeder hat es mitbekommen: CDU und SPD wollen viele neue Schulden aufnehmen, vor allem für die angeblich dringliche und wichtige Aufrüstung, und zum Ausgleich dann auch ein wenig für die Infrastruktur, die zugegebenermaßen marode ist. Welche Parteien waren noch einmal die letzten Jahrzehnte in Regierungsverantwortung und haben das also verbockt? Oh, CDU und SPD, in der Hauptsache.
Nun gut, 37,5% der Wähler haben ihnen noch immer nicht ihr Vertrauen entzogen und so wollen sie damit weitermachen, es zu verbocken. Viele dieser 37,5% sind ältere und ganz alte Menschen. Man fragt sich, ob diese den jungen Generationen einfach keine bessere — oder zumindest andere — Politik gönnen, weil sie selbst keine hatten. Oder ob sie nur so im Bann der Zukunftsangst stehen, dass sie auf keinen Fall irgendwelche Veränderungen zulassen können.
Aber zurück zu den Vorhaben von CDU/SPD. Sie nennen es “Sondervermögen” — es sind aber, wie bereits erwähnt, Sonderschulden. Das sollte man auch so nennen, selbst wenn man diese Schuldenaufnahme gut findet. Wenn es nobler klingen soll, kann man ja auch von Krediten sprechen. Aber es bleiben Schulden. Die Details kann man auf jedem beliebigen Nachrichtenportal nachlesen.
Was nun teilweise für eine gewisse Aufregung sorgt, vor allem bei Linken und der AfD, die alle möglichen Klagen eingereicht haben und weitere einreichen wollen, ist die Idee von CDU/SPD, nicht den kommenden, sondern den alten BT über ihre Vorhaben abstimmen zu lassen. Denn im neuen Bundestag würden sie selbst zusammen mit den Grünen nicht die notwendige 2/3-Mehrheit erreichen, die für eine Änderung des Grundgesetzes notwendig ist.
Aber auch im alten BT benötigen CDU/SPD die Stimmen der Grünen für diese 2/3-Mehrheit. Deswegen geht es insgesamt jetzt ziemlich hektisch zu. Die Koalitionsverhandlungen haben gerade begonnen, aber trotzdem will man schon finanzpolitische Entscheidungen für die kommenden 10 Jahre treffen, dazu muss man den Grünen etwas anbieten, damit sie zustimmen, denn diese gerieren sich (noch) patzig und beleidigt darüber, dass Söder ihnen nicht den nötigen Respekt entgegenbringe. Zusätzlich wurden Berichte zu allen möglichen Entgleisungen von CDU gegen die SPD und anders herum lanciert. Es geht in dieser Politik also zu wie in einer schlechten Soap.
Bemerkenswert scheint mir aber vor allem eins: Die Spitzen von CDU/SPD argumentieren, dass die von ihnen anberaumten Sondersitzungen formal juristisch nicht zu beanstanden seien, während die Oppositionsparteien ebenfalls auf dem juristischen Wege dagegen vorzugehen versuchen. Das Verständnis scheint zu sein, dass alles, was legal ist, auch in Ordnung ist. Das ist ein Fehler, der — so scheint mir — immer häufiger gemacht wird in der Politik.
Sitten und Gesetz können nicht deckungsgleich sein. Das Gesetz versucht natürlich, den Geist der Moral, und das sind die Sitten, abzubilden — aber dabei entsteht immer ein Verlust: entweder werden Dinge verboten, die die Sitten erlauben würden, oder anders herum bleiben Dinge erlaubt, die die Sitten aber verbieten würden.
Mir scheint das hier angestrebte Vorgehen am Geist der parlamentarischen Demokratie vorbeizugehen. Der alte BT existiert, bis der neue zusammentritt, damit es zu jedem Zeitpunkt ein entscheidungsfähiges Organ gibt. Der neue BT sollte aber immer so schnell wie möglich zusammentreten. Es muss eine Frist geben, und diese Frist beläuft 30 Tage. Daraus aber zu schlussfolgern, dass man diese 30 Tage voll ausnutzen sollte, weil es juristisch ja erlaubt ist, geht am Geist der Sache vorbei.
Ich sehe auch nicht, inwiefern es sich politisch um ein dringliches Thema handelt, das nicht warten kann, für die kommenden 10 Jahre neue Schulden aufzunehmen. Es ist parteien-taktisch dringlich für CDU/SPD wegen der sich ändernden Mehrheitsverhältnisse, aber gerade diese Änderung bildet — wenn auch aus meiner Sicht sehr unvollkommen, ich erinnere an die Repräsentationslücke von 13,7% — den aktuellen Wählerwillen ab. Man muss also annehmen, dass die Dringlichkeit, die CDU/SPD reklamieren, das Wegducken vor dem kommenden Wählerwillen bedeutet.
Ich denke, dass dem Vertrauen in die Demokratie mit diesem Vorgehen geschadet wird. Was kümmert es da, ob es formal-juristisch legal ist, so vorzugehen? Die geringen Steuersätze, die Reiche typischerweise zahlen, sind auch legal, weil das Gesetz eben gegen den Geist des Gesetzes verbogen werden kann. Sittenwidrig sind zu niedrig gezahlte Steuern dennoch.
Und das Verrückteste dabei ist, dass die CDU unter Friedrich Merz im Wahlkampf noch eine ganz andere Rhetorik gefahren ist…
II. Bricht die CDU schon jetzt ihre Wahlversprechen?
Nun gut, die 37,5%, die noch immer CDU/SPD wählen, haben sich so sehr daran gewöhnt, dass ihre Politiker nach den Wahlen etwas anderes tun als sie vorher verkündet haben, dass ihnen dies wohl egal ist — sonst würden sie diese Parteien ja nicht mehr wählen. Blicken wir dennoch kurz auf diese Frage.
Merz habe im Wahlkampf doch “gebetsmühlenartig die Verteidigung der Schuldenbremse versprochen, um dann der SPD mit der größten Schuldenorgie aller Zeiten entgegenzukommen,“ so ein FDP-Politiker.1
Auch das zweite große Wahlkampfversprechen, die Migration in den Griff zu kriegen — lol, nachdem die CDU von 2015 bis 2020 das Problem erst so richtig hat aufkommen lassen, aber Merkel, wer ist das?, noch nie gehört, so die heutige CDU2 — habe Merz jetzt schon gebrochen, denn schon jetzt zeichne sich das Weiter-So in der Migrationspolitik ab, das die SPD sich auf die Fahnen geschrieben hatte.
Denn im Sondierungspapier tauche die Forderung nach Abweisungen an der Grenze zwar auf, allerdings mit dem Zusatz: „in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn“. Und das hieße im Klartext, dass sich gar nichts ändern wird. An dieser Stelle möchte ich rasch zwei Dinge anmerken. Erstens: Ich halte nichts von diesen Grenzkontrollen. Das Migrationsproblem — der Teil dessen, was überhaupt ein Problem ist — muss man anders in den Griff kriegen, z.B. und u.a. indem der Westen aufhört, in der arabischen Welt und in Afrika die Lebensbedingungen durch Kriege zu zerstören.
Aber zweitens: Ich lebe zufällig an einer Grenze und überquere sie fast täglich. Die bisherigen Grenzkontrollen dort sind reine Symbolpolitik. Denn erstens weiß man ziemlich schnell ganz genau, wann sie morgens beginnen und wann sie abends enden. Zweitens kann jeder Ortskundige sie häufig umgehen, denn es werden nicht alle Straßen kontrolliert. Drittens sitzen die Polizisten die meiste Zeit in ihren Autos und daddeln mit ihren Handys herum. Viertens kann jede Person, die des Gehens von, sagen wir, 1km mächtig ist, einfach kurz vor der Grenze aus dem Auto aussteigen, und durch den natürlich unkontrollierten Wald nach Deutschland laufen, und dort dann wieder einsteigen.
Vielleicht ist es an anderen Grenzen anders, aber die Kontrollen dort, wo ich lebe, sind Verschwendung der wertvollen Lebenszeit unserer Polizisten. Zudem verschwenden sie, wenn sie dann doch mal stattfinden, die wertvolle Lebenszeit der Bürger.
Zurück aber zu den gebrochenen Wahlversprechen. Merz, der Schlawiner,3 fährt die doppelte Rhetorik, das habe er so ja gar nicht versprochen, da sei er falsch verstanden worden; und wenn er es aber doch vielleicht versprochen hätte, dann spiele das jetzt keine Rolle mehr, denn die Situation habe sich unglaublich verändert. Jetzt sei ja Trump da. Nun gut, das war im Wahlkampf schon klar. Und er habe sich mit der Ukraine überworfen. Nun gut, das war im Wahlkampf schon absehbar. Und auf die USA sei ja jetzt kein Verlass mehr. Wir erinnern uns, das hatten wir 2016 alles schon einmal, also auch das wusste Merz im Wahlkampf schon.
Will Merz uns also vergackeiern?4 Ich nehme an, dass dem so ist, zumindest seine zukünftigen Wähler. Und ich weiß noch immer nicht, wofür die CDU eigentlich stehen will. Sorry, aber für diese Politiker muss ich mich — bei aller Liebe und dem gebotenen Respekt vor der schwierigen Weltlage — einfach schämen.5
Und die AfD, deren Aufschwung man bremsen, deren “Machtergreifung” man doch verhindern will? Die steht gut da, das schreibe ich nicht gerne. Aber seht selbst.
III. Das BSW scheitert mit seiner Klage auf Neuauszählung der BTW
Das BSW war laut vorläufigem amtlichen Ergebnis sehr knapp an der 5% - Hürde in der BTW gescheitert. Es fehlten ihm ca. 13.400 Stimmen. Es wurde jedoch sehr schnell bekannt, dass es zu Stimmen-Verwechslungen zwischen dem Bündnis Deutschland und dem BSW bei den Auszählungen gekommen war. Weitere Probleme wurden festgestellt, sodass laut dem Spiegel dem BSW mittlerweile 4277 Stimmen mehr zugesprochen werden als im vorläufigen Ergebnis.
Das BSW argumentiert nun, es könnten noch weitere Stimmen zu Unrecht fehlen, bspw. durch fälschlich ungültige Stimmzettel, oder weitere nicht-systematische Fehlzuordnungen — es könnte gut sein, dass die fehlenden ca. 10.000 Stimmen noch gefunden würden, und damit wäre das BSW im Bundestag. Das BSW hat deshalb versucht, eine Neuauszählung aller Stimmen juristisch einzuklagen. Die Klage wurde vom Bundesverfassungsgericht nun abgewiesen.
Aber nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern unter Berufung darauf, dass dies nicht der korrekte juristische Weg sei. Der im Grundgesetz geregelte Weg sehe vor, dass erst einmal innerhalb von zwei Monaten nach der Wahl Einspruch beim Bundestag eingelegt werden könne. Erst nach Ablehnung des Bundestages könne man sich im zweiten Schritt an das Bundesverfassungsgericht halten.
Das Problem dabei ist nur — und dies ist auch der Grund, warum das BSW, wohlwissend, dass es eigentlich nicht der korrekte juristische Weg ist, diesen Weg wählte —, dass ein solches Verfahren ziemlich lange dauert: wohl ein bis zwei Jahre. Und wohlgemerkt hätte das Bundesverfassungsgericht das Recht gehabt, der Klage zu folgen — es war nicht gezwungen, sie abzulehnen, sondern hat eine Entscheidung getroffen.
Juristisch kann ich diese nicht beurteilen, aber mir erscheint sie gesellschaftlich aus folgenden Gründen problematisch:
Potentiell wird damit der Wählerwille von immerhin ca. 2,5 Mio. Wählern ignoriert, das BSW im Bundestag zu haben.
Haben die bereits stattgefunden Korrekturen ja bereits gezeigt, dass die Zahlen teilweise korrigiert werden mussten, dass also Fehler stattgefunden haben — die auch nur auf aktive Anfrage des BSW hin überprüft und korrigiert wurden. Wir können nicht wissen, wie groß diese Fehler sind, wenn wir nicht nachschauen.
Es geht nicht nur um die Frage, ob das BSW es in den BT schafft oder nicht, sondern auch um die Frage der Mehrheitsverhältnisse in diesem BT. Denn das BSW im Bundestag hätte zur Folge, dass die voraussichtliche schwarz-rote Koalition — die man wirklich nicht mehr GroKo nennen kann — gar keine Mehrheit im BT hätte.
Man beachte, dass alle drei Gründe vollkommen unabhängig davon gelten, ob man das BSW gut findet oder Sahra Wagenknecht mag. Wenn man an die Demokratie glaubt, dann kann man nicht so tun, als wären diese Punkte unproblematisch. Zudem würde die von mir bemängelte Repräsentationslücke von 13,7% im kommenden BT immerhin um 5% gesenkt.
Weitergedacht muss sowieso die Frage aufgeworfen werden, wie es sein kann, dass in Deutschland 2025 Stimmen gezählt werden, als wären wir eine Bananenrepublik. Jede poplige Abiturklausur geht durch eine Erst- und Zweit-Korrektur, und wenn die zu sehr voneinander abweichen, sogar noch durch eine Drittkorrektur. Und Stimmen einer Bundestagswahl — immerhin der heilige Gral einer parlamentarischen Demokratie — werden nicht noch einmal unabhängig von einem anderen Wahllokal nachgezählt?6
Was würde es kosten, alle Stimmen noch einmal nachzuzählen? Aufwand, Zeit und Geld. Was würde es bringen? Mehr Vertrauen in die Institution der Wahlen. In Zeiten des abnehmenden Vertrauens wäre das vielleicht kein so schlechter Deal. Die 2,5 Mio. BSW-Wähler zumindest werden massiv Vertrauen verloren haben.
Interessanterweise hätten sich diese Sicht der Dinge ja auch die kommenden Oppositionsparteien zueigen machen können, Die Grünen, die Linken und die AfD, um eine schwarz-rote Mehrheit potentiell zu verhindern. Darauf haben sie alle verzichtet.7 Im Übrigen könnte auch die Bundeswahlleiterin feststellen, dass dies die am schlechtesten organisierte Wahl seit langem war und dass es zu Unregelmäßigkeiten gekommen sei — und entsprechend selbst eine erneute Auszählung veranlassen. Sie hat sich dagegen entschieden.
IV. Der BND glaubte an einen Labor-Ursprung des Corona-Virus
Die Zeit und die Süddeutsche Zeitung haben nach anscheinend ziemlich langer Recherche berichtet, dass der BND schon 2020 zum Ursprung des Corona-Virus nachrichtendienstlich ermittelt habe und zur Einschätzung gelangt sei, die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus aus einem Labor stammt, liege bei 80-95%.
Dieses Ergebnis hätte das Bundeskanzleramt dann auch erhalten8 und zur Geheimsache erklärt, während gleichzeitig offiziell die Narrative aufgebaut wurde, ein Labor-Ursprung sei sehr unwahrscheinlich, und diejenigen, die für einen Labor-Ursprung argumentierten als Verschwörungstheoretiker gebrandmarkt wurden.
Auch nach dem Regierungswechsel zu Olaf Scholz sei dieser informiert worden, oder zumindest das Kanzleramt. An der Informationsstrategie gegenüber dem Volk hat sich aber nichts geändert, der Zeit-Artikel vermutet: aus Angst vor einer Blamage.
Mir geht es nicht um das Faktum selbst, auch wenn ich es nicht überraschend finde. Jon Stewart hat es mal schön auf den Punkt verbracht mit dem Vergleich:
“There’s been an outbreak of chocolaty goodness near Hershey, Pennsylvania. What do you think happend? — Oh, I don’t know. Maybe a steam shovel mated with a cocoa bean. — Or it’s the f**king chocolate factory.”
Warum diese Geheimhaltung? Ging es nur darum, kein diplomatisches Porzellan gegenüber China zu zerschlagen? Oder ging es darum, die Aufmerksamkeit davon abzulenken, was für kranker Scheiß da eigentlich in diesen Laboren überall auf der Welt erforscht wird? Der Zeit-Artikel nennt zwei mögliche Gründe. Zum einen die Möglichkeit, dass der BND sich irrt. Das scheint mir aber ein unsinniger Grund zu sein, der zudem fast immer zutrifft.
Der zweite Grund sei, dass die Ursprungs-Frage bereits ein Politikum geworden sei. Trump habe den Labor-Ursprung “für so gut wie bewiesen” erklärt, aber keine Beweise vorlegen können. Man habe sich an den Irakkrieg 2003 erinnert gefühlt, als “schon einmal Geheimdiensterkenntnisse frisiert wurden, um die Existenz vermeintlicher irakischer Massenvernichtungswaffen zu belegen – die es nie gab.”
Aber darf - philosophisch gesprochen, nicht juristisch — eine demokratische Regierung die eigene Bevölkerung vorsätzlich täuschen? Darf sie, wenn ihr eigener Geheimdienst von einem wahrscheinlichen Labor-Ursprung des Virus ausgeht, das gegenteilige Narrativ verbreiten? Müsste sie nicht wenigstens neutral bleiben, und nur das eigene Wissen verschweigen, ohne aber bewusst die Unwahrheit zu verbreiten?
Laut John Mearsheimer wird die Bevölkerung in Demokratien mehr belogen als in anderen Staatsformen, zumindest wenn es darum geht, Ängste zu schüren.9 Das läge vor allem daran, dass Führer anderer Staatsformen weniger Grund hätten, ihr Volk zu belügen. Sie üben die Macht aus, und sind dabei weniger abhängig von der Gunst des Volkes. Demokratische Politiker könnten ihre Agenda gegen den Willen des Volkes nur dann durchsetzen, wenn sie kaschiert würde.
Todd hat anscheinend also einen Punkt: Politiker betrachten es als Teil ihres Jobs, ihre Bevölkerung zu täuschen. Die Frage ist, wie weit das demokratische Prozesse untergräbt. Was wohl davon abhängt, welche Ausmaße das Verschweigen von Wissen und das Täuschen der Wähler hat.
Natürlich kann eine Regierung nicht immer alles offen legen, was sie weiß. Diese vollkommene Transparenz zu fordern wäre unsinnig. Und vielleicht waren die Gründe für die Entscheidung, diese BND-Erkenntnisse geheim zu halten, gut. Nur, ich kann es nicht prüfen, ob sie gut waren. Das heißt, ich müsste dem Politik-Betrieb vertrauen. Das tue ich nicht, und damit bin ich kaum alleine.10 Nicht umsonst sind, so Todd, Politiker und Journalisten die “am wenigsten respektierten Berufe.” Was ziemlich traurig ist.
V. Was wollen die Grünen?
Wenn ich ihre Aussagen richtig verstanden haben, dann finden die Grünen den Aufrüstungsteil des CDU/SPD-Vorhabens grundsätzlich gut, und den Infrastruktur-Teil blöd. Damit stehen sie konträr zu meinen Ansichten, was mich nicht überrascht.11 Wer die Grünen wählt, weiß heutzutage ja vermutlich, dass er eine Aufrüstungspartei wählt, mit guten transatlantischen Beziehungen.
Die Grünen begründen dies damit, dass sie Krieg durch Frieden wollen. Ach nein, anders herum. Frieden durch Krieg. Frieden ist ja auch fast Krieg. Frieden ist Krieg? Woran erinnert uns das? Aber das ist nur ein bedauerliches Missverständnis. Die Grünen wollen natürlich nur Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit. Ach, ich sollte die Finger von den Grünen lassen. Zu emotional.
Aber dass Aufrüstung gut für den Umweltschutz ist, weiß jeder, oder? In manchen Kreisen kennt man sie als die Olivgrünen. Es ist ihnen nur einfach nicht gelungen, ihre Politik zu erklären. Wie das immer so ist. Die Bevölkerung hat ja auch keine Aufmerksamkeitsspanne mehr. Ach, die Grünen. Heinrich Böll würde sich im Grabe umdrehen. Ach nein, er wäre stolz, auf seine Baerbock, seinen Hofreiter, seine Strack-Zimmermann12…
Genug. Ich werde nie wieder davon sprechen. Versprochen.
VI. Die unrühmliche Rolle der Medien
Wovon ich aber doch in aller gebotenen Kürze sprechen will, ist die unrühmliche Rolle der Medien. Ich bin, nachdem ich über diese Frage lange nachgedacht habe, zum Ergebnis gekommen, dass diese Medien wohl schon immer eigentlich Propaganda-Zwecken dienten, und dass die Rede von der vierten Gewalt im Staat einfach gute PR war, auf die Journalisten, vor allem junge, auch immer wieder selbst hereingefallen sind. Und dadurch kommt es vereinzelt doch auch zu Anflügen von vierter Gewalt, ab und an. Hier ist so einer. (Und die Medien könnten theoretisch ja auch tatsächlich zu einer vierten Gewalt werden, ausgeschlossen ist das nicht, aber wir sollten nicht davon träumen.)
Aufgabe der Medien wäre es, eine oppositionelle Rolle zu den Regierenden einzunehmen und selbst dann in deren Agenda Fehler und Schwachpunkte zu finden, selbst wenn sie sie persönlich gut finden. (Also das ignoriert jetzt den PR-Punkt aus dem letzten Absatz, ich denke das ist klar.)
Was machen die Medien stattdessen? Das Gegenteil! Ich könnte mich den ganzen Tag aufregen. Ja, Meister, ja, wir müssen natürlich wieder wehrfähig werden. Und wir müssen uns auch ordentlich digitalisieren, auch die Kitas, jaja, und alle Menschen sollten sich am besten in den Cyberspace verpissen, wo sie keine Umwelt mehr dadurch zerstören können, dass sie auf Bäume klettern (da brechen Äste ab) und Lagerfeuer anzünden (da droht Waldbrand). Wir haben studiert und wir wissen alles besser als diese dummen Arbeiter-Viecher, die nicht einmal ein Abitur haben, und darum müssen wir ihnen ständig die Welt erklären und auf sie herabblicken…
Oh, keiner kauft mehr unsere Scheiße?13 Naja, nicht schlimm, dann suchen wir eben andere Finanzierungsmethoden. Wer PR macht, kann dafür ja schließlich auch Bezahlung erwarten.
Genug des Rants. Scheinbar kann ich nicht mehr klar schreiben. Aber ach ja, natürlich kritisieren Medien die Politik, und stellen Dinge auch formal korrekt dar. Nur hinterfragen sie nicht die Annahmen, die zugrunde liegen, und sie geben Dissidenten viel zu wenig öffentlichen Raum. Und das wäre eine ihrer Aufgaben, vielleicht die wichtigste. Wenn es nicht die PR wäre. Ja, wenn —
Fazit
Es sieht nicht gut aus. Noch Fragen?14
Warum zitiere ich diesen FDP-Politiker? Zufall — es war der erste Treffer bei Google zu “CDU gebrochene Wahlversprechen”. And so it goes, wie Samuel Beckett geschrieben hat.
Oder, wie Fefe es vllt ironisch ausdrücken würde: “When I think sichere Grenzen, I think CDU.”
Schlawiner ist keine Beleidigung, anders als bspw. Schwachkopf. Ich habe nachgesehen: Es bedeutet: schlauer, pfiffiger Mensch. Ich würde mich heutzutage nicht trauen, einen Politiker als Schwachkopf zu beleidigen. Selbst dann nicht, wenn ich es deskriptiv meinte. (Das scheint mir ein wichtiger Unterschied. Ich finde auch nicht, dass man Merz offiziell als Hundesohn beleidigen können sollte, denn das ist offensichtlich eine nicht-deskriptive Beschimpfung. Merz’ Eltern waren definitiv keine Hunde. Interessant sind Grenzfälle. Nazi, womit er ja auch gelegentlich betitelt wurde, z.B. auf beschmierten Wahlplakaten, was ich sittenwidrig finde, gibt sich den Schein, deskriptiv zu sein, ist es aber nicht. Es ist ein vollkommen leeres Wort geworden.)
Nebenbei bemerkt: Der große Wichser ist keine Beleidigung, sondern ein Kunstwerk von Salvador Dalí :)
Wiktionary weiß: “seit 1900 im Sprachgebrauch, Verbindung zum Substantiv Gackei (Ei). Üblicherweise begleiten Hühner das Eierlegen mit Gackern, von Zeit zu Zeit jedoch gackert ein Huhn auch dann, wenn es gar kein Ei gelegt hat und spielt so dem Menschen einen Streich.” Ich halte selbst Hühner und kann bestätigen, dass dem so ist. Delektiös! (Dieses Wort existiert nicht, ich habe es als Adjektiv zu delektieren selbst erfunden.)
Zugegeben sei, dass das für mich kein neuer Zustand ist. Als Deutscher, der aber weder in Deutschland geboren noch aufgewachsen ist, der sich aber doch vor allem aufgrund der Sprache und Sitten mit dem deutschen Geist verbunden fühlt, blicke ich wie gleichzeitig von außen und von innen auf Deutschland und es ist zum Haare zerraufen: Vorsicht, es wird polemisch — Alle Kanzler, die ich bewusst erlebt habe, hatten immer noch weniger Format als die vorhergehenden: Kohl war fett, aber hatte immerhin noch etwas Staatsmännisches. Das hatte Schröder auch, aber er hat den Geist der SPD verraten. Merkel — nun ja, das hübsche Gesicht der CDU, muss man wohl sagen. Dann Scholz: das dümmliche Gesicht der SPD, vor allem in diesem Moment. Scholz hatte seinen größten, staatsmännischsten Moment, als er das Ende seiner Koalition verkündete. Und jetzt Merz: Ich möchte nicht schreiben, dass er eine Lächerlichkeit auf zwei Beinen und mit Brille sei, aber Junge, Junge, ist das eine verführerische Formulierung.
Anekdotisch läuft es bei den Auszählungen alles andere als rund. So wurde mir davon berichtet, dass Wählenden bei Nachfrage die falsche Auskunft erteilt wurde, ihr Wahlzettel sei ungültig, wenn sie keine Erststimme angäben. Wenn die Wahlhelfer das glaubten, haben sie dann gültige Wahlscheine ohne Erststimme als ungültig aussortiert?
Sodann hat eine Wahlhelferin beobachtet, wie eine andere Wahlhelferin Stimmzettel beim Sortieren auf den falschen Stapel legte. Daraufhin habe sie dies gemeldet und den Vorschlag gemacht, beim Zählen noch einmal alle Zettel darauf zu prüfen, ob sie auf dem richtigen Stapel lägen. Dies wurde mit der Begründung abgelehnt, dies würde zu lange dauern.
Ein Wahllokalleiter musste in seinem Wahllokal durchsetzen, dass Stimmzettel, bei denen die ganze Erststimmen-Seite durchgestrichen war (was erlaubt ist), nicht als ungültig aussortiert wurden.
Man will gar nicht wissen, wie schlampig bei unseren Wahlen gezählt wird, so als ginge es eigentlich um nichts…
Angemerkt sei, dass es mir nicht um meine persönlichen politischen Ansichten geht. Wenn schwarz-rot keine Mehrheit hätte, würde es wohl zu schwarz-rot-grün kommen, was in meinen Augen eher eine Verschlechterung als eine Verbesserung der Dinge wäre. Aber wenn das wahre Wahlergebnis nun einmal keine Mehrheit für Schwarz-Rot hergäbe, was möglich ist, dann sollten sie auch keine haben, und als Demokrat müsste ich auch dieser Ansicht sein, selbst wenn die CDU meine Lieblingspartei und Schwarz-Rot meine Lieblingskoalition wären. (Und diese Menschen muss es, wenn auch in schwindender Zahl, geben. Ich würde mich gerne mal mit einem Menschen unterhalten, dem es so geht, einfach um zu versuchen, DAS zu verstehen.)
Der Zeit-Artikel (paywall) nennt als ersten Kontakt dort den “für die Nachrichtendienste zuständigen Staatssekretär Johannes Geismann. Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) wird ebenfalls eingeweiht – und dem Vernehmen nach auch die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel.” Alle drei wollten für den Artikel nicht Stellung nehmen.
Mearsheimer schreibt in Why Leaders Lie: “Regime type influences the likelihood of fearmongering. In particular, it is more likely in democracies than autocracies, because leaders are more beholden to public opinion in democratic states. Of course, not all democratically elected leaders will surmise that their people need to be deceived because they cannot assess the facts of a situation correctly or handle the truth; but some will. There is actually a rich tradition of this kind of thinking on the right in America”. (m.H.)
Ich hatte an anderer Stelle schon einmal ausgeführt, warum Vertrauen wichtig ist und warum die Forderung nach Transparenz bereits zeigt, dass es nicht vorhanden ist.
“When I think Grüne, I think Friedensbewegung.”
Ja, mir ist bewusst, dass Strack-Zimmermann bei der FDP ist. Das ist die Pointe.
Ich meine natürlich Kot. Unseren Kot kauft keiner mehr.
Schreibt sie gerne in den Kommentar — dann fühlt der sich nicht mehr so leer und einsam ;)
Vieles, wenn auch bei weitem nicht alles, würde ich auch so unterschreiben. In der Summe sind die falschen Darstellungen von Sachverhalten durch die jeweiligen Regierungen wohl einer der Hauptgründe für Politikverdrossenheit. Und feststellen darf man wohl auch, dass falsche Darstellungen (oder nennen wir sie ruhig Lügen, denn letztendlich ist es genau das, wenn man weiß, dass sich ein Sachverhalten ganz anders darstellt als man nach außen hin kommuniziert, aus welchen Gründen auch immer) ganz sicher juristisch nicht gedeckt sind - egal, wie gut die Gründe für eine falsche Darstellung auch sein mögen.
Eine Sache vielleicht, die ich gerne noch angesprochen hätte:
Man kann in punkto Aufrüstung durchaus unterschiedlicher Meinung sein und beide Meinungen mMn. einigermassen begründen, aber gerade wenn es um Umweltschutz geht, stellt sich doch die Frage, ob Aufrüstung umweltschädlicher ist als Angriffskriege auch in Zukunft zuzulassen.
Wenn man, wie ich, der Meinung ist, dass man Russland nur dann vor weiteren Angriffskriegen auf schwächere, ehemalige Satellitenstaaten abhalten kann, wenn man ihm ein militärisch starkes Europa entgegensetzt und diese schwächere Satellitenstaaten in ein Bündnis einbezieht, das in der Lage ist, Russland von einem Angriff abzuhalten oder zumindest die Hürde für einen Angriff deutlich zu erhöhen, wäre da dem Umweltschutz nicht eher gedient als geschadet ?
Ich wage es gar nicht, auch nur abschätzungsweise durchzurechnen, wie weit der russische Angriffskrieg auf die Ukraine die Bemühungen um mehr Umweltschutz und Maßnahmen zur Abschwächung der Klimakatastrophe zurückgeworfen hat.
Es ist und bleibt ein ewiges Gesetz, dass es jahrzehntelang dauert, um etwas sinnvolles aufzubauen und leider nur wenige Momente, um all das wieder einzureißen.
Vielleicht wäre es an der Zeit, den Begriff Pazifismus anders zu definieren. Für mich bedeutet Pazifismus inzwischen, dass mein eigenes Land kein Interesse mehr daran zeigt, ein anderes Land anzugreifen. Pazifismus bedeutet für mich inzwischen nicht mehr, einen Angriff eines anderen Landes auf einen souveränen Staat mit Gleichgültigkeit zu betrachten und der Begriff bedeutet für mich auch nicht, mich im Falle eines Angriffs auf mein eigenes Land einfach so zu ergeben.
Insofern ist Aufrüstung für mich nicht zwangsläufig eine offensive Sache, sondern eine, die einem auch aufgezwungen wird.
Das sieht das BSW und Sahra Wagenknecht sicher anders - und das ist ein einer Demokratie auch durchaus legitim.
Noch ein Gedanke:
Aufrüstung in Europa bzw. das sich in die Lage zu versetzen, bei der Verteidigung der eigenen Staaten unabhängig zu sein (darum geht es nämlich mMn.) bedeutet eben auch, sich ein ganzes Stück von der transatlantischen Abhängigkeit zu befreien. Dass das schon längst hätte passieren müssen, bekommen wir gerade drastisch vor Augen geführt...
Ich hätte so vieles mit Dir zu diskutieren nach diesem Post :-) Ich beschränke mich mal auf dies:
"Natürlich kann eine Regierung nicht immer alles offen legen, was sie weiß. Diese vollkommene Transparenz zu fordern wäre unsinnig"
Da stimme ich voll zu. Aber. Natürlich kommt ein Aber: Es ist ein Unterschied, ob ich einen Sachverhalt verschweige (um beispielsweise keine Panik auszulösen), oder ob ich eine fette Lüge erzähle, diejenigen, die die Wahrheit ansprechen, wirtschaftlich und persönlich zugrunde richte und zusätzlich noch persönlich fett von der Lüge profitiere.
Zweites Aber: Wenn's dann doch rausgekommen ist, dass ich gelogen habe und Existenzen um meiner Lüge willen zerstört habe, dann ist halt auch die Zeit gekommen, öffentlich zuzugeben, dass man gelogen hat. Dass man seinen Fehler bereut und sich bei den Opfern entschuldigt. Dass man aufarbeitet, wie es dazu kam und wer alles dadurch geschädigt wurde, damit so etwas nicht wieder vorkommen kann. Und, dass man alles tut, was man kann, um das von einem selbst verursachte Elend wieder gutzumachen (beispielsweise die fetten Profite zurückerstatten). Das nennt man "Verantwortung übernehmen".