Ein großartiger Beitrag, der mich nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich tief beeindruckt hat.
Vieles von dem, was hier formuliert wurde, entspricht genau meiner eigenen Sichtweise, aber ich hätte es niemals in dieser Klarheit und Tiefe zum Ausdruck bringen können.
Gerade die Einordnung Europas als wirkmächtige Fiktion und die nüchterne Darstellung der historischen Zusammenhänge finde ich bemerkenswert.
Die kritische Rückfrage bezüglich ‘Hybris und Weltherrschaft’ verstehe ich persönlich nicht – auch für mich ist es nachvollziehbar, dies als ein gesamteuropäisches Phänomen einzuordnen, nicht nur bezogen auf einzelne Staaten.
Ich bin dankbar für diesen Essay, der nicht nur informiert, sondern zum eigenständigen Nachdenken anregt.
Endlich habe ich es geschafft (akuter Lese-Rückstand), diesen Artikel zu lesen. Und bin total erstaunt, dass nur drei Personen hier kommentiert haben! O.O Es gibt doch zu Deinen Gedanken so viel zu sagen!
Du packst immer unglaublich viele Gedanken in einen Artikel, so dass einem gleich beim ersten Lesen klar wird, dass man sich nur einen Punkt herausgreifen kann. Schade, aber es ist schlicht nicht möglich, alle die "Bälle" aufzufangen und zurückzuspielen.
Ich blieb bei Deiner Fußnote Nummer 3 und dem Thema "christliches Mittelalter" hängen. Hier wäre in meinen Augen eine "natürlichere" regionale Einteilung/Abgrenzung Eurasiens zu finden: Nämlich grob in Gebiete nach (überwiegender) Religion.
Vor einiger Zeit schaute ich mal die BBC historic farm series an und ich musste bei Deiner Fußnote an die Serie Tudor Monastery Farm denken, in der auch berichtet wird, wie anders die Denkweise der Menschen damals war, auch in ihrer Vorstellung von der (Arbeits-)Zeit.
Menschen so zum Krieg aufzuhetzen, wie es heute leicht machbar ist, das scheint mir einfach in den damaligen kleinen Strukturen, in denen jeder noch erkennen konnte, wie abhängig er von seinen Nachbarn ist, nicht möglich gewesen zu sein. Und, ja, Geld war noch nicht der (Haupt-)Gott der kleinen Leute. Bei den Herrschern (inklusive der organisierten Kirche) war das anders, aber die große Mehrzahl der Menschen dachte noch friedlich und gemeinschaftlich.
Deinem Schlusswort schließe ich mich vollumfänglich an:
Wir könnten mit allen Völkern (von unserer Seite aus) in Frieden leben, aber die den Deutschen offenbar eingepflanzte Arroganz, das Besserwissen, wie andere leben sollten, verhindert das. Fleischgewordenes Symbol dafür war wohl Annalena.
Dabei wäre es so einfach:
"Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein und werden – im Inneren und nach außen."
Doch so lange die Menschen nicht erkennen, dass der, der sie gegeneinander aufhetzt, damit Geld verdient, so lange werden sie sich immer wieder spalten lassen.
Ich bin selbstredend entzückt, dass endlich einmal jemand eine Fußnote kommentiert :) Und Fußnoten in den Kommentaren wäre meiner Ansicht nach ein grandioses Feature!
Ich bin nicht sicher, aber ich glaube ich erwähne im Haupttext, dass um 1500 herum die Grenze zwischen Europa und Asien per Religionszugehörigkeit gesetzt werden könnte. Aber das gilt natürlich nur für bestimmte Abschnitte, denn 500 vor Christus gab es noch kein Christentum, und selbiges breitete sich meiner Erinnerung nach zunächst stärker in Asien aus als in Europa, und wurde vor allem durch die Ausbreitung des Islam im 7. Jhd dort zu einer Randerscheinung.
Ich weiß zu wenig über das Mittelalter per se, aber dass die Welt- und Selbstwahrnehmung eine stark andere war als heute scheint mir äußert plausibel, wenn man die Radikalität der Umbrüche in der frühen Neuzeit bedenkt (mit denen ich mich schon etwas mehr befasst habe), insbesondere das Aufkommen -- wie Ivan Illich es darstellt -- der modernen Technologie und dem damit einhergehenden Anspruch, die Welt dem Menschen anzupassen statt andersherum.
Und das Verständnis der Manipulierbarkeit der "Massen", die es so im Mittelalter natürlich auch noch nicht gab, war natürlich noch nicht entwickelt. Denn wenn junge Menschen, wie im 20. Jahrhundert, gut gelaunt in den Krieg ziehen (jeder Stoß ein Franzos), dann sind sie, so scheint es mir sein zu müssen, einer starken Massensuggestion aufgesessen.
Zuerst herzlichen Dank für deinen ausführlichen Beitrag! Dazu ein paar Gedanken:
‐ Seltsam, dass du Hybris und Weltherrschaft(sgelüste) mit Europa verbindest. Warum nicht eher mit den USA (!), mit Frankreich, England und Deutschland? – Ansonsten bin ich mit vielen Details natürlich ganz einverstanden.
- Seltsam berührt mich auch der "fiktive Kontinent". Dass die Grenze zu Asien nicht genau zu definieren ist, hindert mich nicht daran, Europa als kontinente Landmasse zu empfinden.
- Persönlich finde ich den Übergang zu Asien als "ausgebreitet Schwelle" hoch interessant. Genauso wie der Übergang von Alaska nach Asien, nur eben landschaftlich ganz anders geformt. Wie es "lehrreich" war, eine Zeit auf Granit zu verbringen (im Gotthardmassiv) und eine Zeit auf Kalk (im Jura, Westschweiz), um die unterschiedlichen Qualität zu erspüren, so wäre es gut, wenn wir eigene Erlebnisse in der Übergangszone nach Osten haben könnten.
- Zu den großen Schwierigkeiten, die Europa hat, sich zu finden: Vielleicht ist die Tatsache, dass sich die Widersachermächte im 20. Jh. so intensiv hier eingemischt haben, ein Hinweis darauf, dass da auch im Positiven viel Potential vorhanden ist, nach wie vor. Das könnte bedeuten, dass wir sowohl im individuell Menschlichen als auch im Gemeinschaftlichen – ich denke gerade an die soziale Dreigliederung – noch viel Arbeit vor uns haben. In diesem Zusammenhang vermute ich a) im verbreiteten Pessimismus, b) in der gesellschaftlichen Umbauhysterie und c) in der "Faszination" (!) der "Künstlichen Intelligenz" nichts weniger als groß angelegte Ablenkungsmanöver. Was wir für ein zukünftiges Europa brauchen, ist nicht Faszinationalismus, sondern kühlen Kopf, warmes Herz und ... Gute Taten!
Hey, als ich Deinen Beitrag las, dachte ich auch, dass es auf einer bestimmten Ebene nicht zusammen passt, zu sagen, dass Europa eine Fiktion ist und dass Europa ein Organismus ist mit einer Europäischen Seele, und dass es aber doch oft so ist, wie Egon Friedell auch sagt, dass sich Wahrheiten oft dadurch auszeichnen, dass ihre Negation auch wahr ist, und dass Wahrheiten immer etwas Paradoxes haben. (Man könnte vllt vermuten, dass es zwar einen europäischen Organismus gibt, Europa insofern eine Realität ist, die die alten Griechen auch gespürt haben, dass diese Wahrnehmung aber aktuell äußerst verschüttet ist von einer Fiktion von Europa, deren aktuellste Variante die EU ist, hinter der "das wahre Europa" (was man so natürlich nicht sagen darf, weil Lord Voldemort Höcke es sagt) schwer zu finden ist.
Vielleicht ist es in meinem Artikel nicht klar genug herausgekommen, dass ich (in diesem Artikel) die USA als eine Art Neu-Europa betrachte, also aus dem fiktionalen Europa-Begriff herausarbeite, dass "europäischer" Ungeist die ganze Welt (kulturell und wirtschaftlich) durchdringt, und eine relativ nahtlose Weltherrschaftsmanie seit der Neuzeit von Europa ausgehend konstatiere, die aktuell ihren Schwerpunkt im neu-europäischen Amerika hat. (Womit ich nicht leugne, dass die genetisch und kulturell zutiefst europäische Prägung in Amerika auf eine ganz andere, nämlich nord-südlich statt ost-westlich orientierte Geographie trifft (was Margot ja in ihrem Artikel auch aufgefallen ist).
Wenn ich mir die Kulturepochen, wie Steiner sie präsentiert, vor Augen führe, dann haben wir eine Art Spiralbewegung, die von Asien nach Europa führt, dann aber zukünftig wieder Richtung Osten und dann, etwas unterbestimmt, vielleicht weil weit weg, in ein ganz anderen Amerika als wir es heute kennen, führen wird.
Zu deinen letzten beiden Punkten breite Zustimmung :) Insbesondere, dass es Deutschland (und generell Mitteleuropa mit Polen) nicht gelingt, sich aus dem Alten zu lösen, empfinde ich als erschütternde Nicht-Einlösung des Potentials, weil es meinem Verständnis nach durchaus die Möglichkeiten gäbe, und damit auch die Verantwortung des Menschen, sich gegen die Widersachermächte zu behaupten, und diese Verantwortung liegt zu sehr brach. Ich würde deinen letzten Gedanken in "meinem" Vokabular so ausdrücken, dass wir an weisheitsvollen Gedanken ansetzend, diese in unserem Denken bewegen müssen, ohne willentlich darauf zuzugreifen, sodass sich klare Empfindungen entwickeln, die dann unser Handeln motivieren, zu dem wir uns aber in jedem Moment neu entscheiden müssen. :)
Liebe Grüße in die Schweiz (die ich leider viel zu wenig kenne), momentan aus Südtirol!
Noch zwei Gedanken. Zuerst zur Fiktion: Ein Blick auf ein kleines Land in Mitteleuropa zeigt nebst Bergen, Käse, Schokolade und Taschenmesser 4 Landessprachen. Drumherum 4 nette Nachbarn, die fanzösisch, italienisch und/oder deutsch sprechen, ähnlich wie wir auch. Wir sind real, nicht fiktional. Und wir schlagen uns schon länger nicht mehr die Köpfe ein. Europa ist zwar viel größer, aber die Konfiguration dünkt mich sehr ähnlich. Da wir (fast alle) noch nicht so lange kontinental und global denken und empfinden – und handeln – scheint es mir nicht unverständlich, dass sich Europa noch nicht wirklich "gefunden" hat. Die EU ist ein zu schnell geschustertes Ding, vergleichbar mit einem Paar Schuhe, für die du mir (Musiker, nicht Schuhmacher) den Auftrag und eine Stunde Zeit gibst. Die EU ist eben nicht von Weisen gemacht worden, sondern von Politikern und Bürokraten und: Geistern, die ein gesundes Europa eher verhindern als fördern wollen.
Das zweite: Natürlich ist Amerika "genetisch" neu-europäisch. Aber: Das sind nicht kleine vorgelagerte Inseln, sondern Kontinente mit großen und starken eigenen "Kontinentalgeistern", welche die Ankömmlinge recht schnell und kräftig mitgeprägt haben. Das drückt sich in den USA u.a. in der Physiognomie aus, ... und im nicht gänzlich erfolglosen Bestreben, als Großmacht andere Länder zu dominieren. Sogar die Autos sind dort etwas größer ;-)
Zu Europa hat Bernard Lievegoed 1990 "Mensheitsperspectieven" geschrieben (deutsch: Alte Mysterien und soziale Evolution, Fr. Geistesleben 1991), SEHR lesenswert.
Vielleicht muss man real und fiktional nicht unbedingt als absolute Gegensätze sehen. Shakespeares Charaktere sind fiktional, aber real genug, dass Steiner über sie schreibt, dass man sie im Geistigen als reale Charaktere finden kann, oder so ähnlich. Dass die iberische Halbinsel in zwei Länder geteilt ist statt in eins oder vier, scheint mir historisch kontingent, genauso dass der deutschsprachige Raum sich nicht in der großdeutschen Lösung vereint hat, sondern in der kleindeutschen. (Bzw. wäre es auch möglich, und kulturell vllt stimmiger gewesen, wenn Baden-Württemberg (minus Kurpfalz) und Bayern zu Österreich gehörten.) Und ich kenne die Geschichte der Schweiz nicht unheimlich gut, aber könnte man hier nicht auch annehmen, dass zuerst das Land kam und dann ein Nationalgeist sich entwickelt hat? Für Belgien gilt dies sicherlich, denn in der Unabhängigkeitsbestrebung 1830 ging es um religiöse Autonomie, nicht um nationale Unabhängigkeit. Wobei ich das Gefühl habe, dass Belgien es eigentlich nie geschafft hat, einen Nationalgeist zu entwickeln, was vielleicht ja auch ganz angenehm ist.
Das Buch schaue ich mir gerne mal an, wenn ich es finde :)
Zum 🇨🇭-"Nationalgeist": eher nicht zuerst das Land. Wenn nicht aus der geistigen Welt eine "Aufforderung" / "Einladung gekommen wäre, wär's eher plausibel gewesen, dass die Alpen eine Grenze bilden entlang der Sprachgrenze d/it, der "Röstigraben" – die Sprachgrenze fr/d – hätte die Landesgrenze Deutschland Frankreich nach Süden fortsetzen können. Ich meine, es war anders vorgesehen. Aber natürlich ist auch anderes möglich, ganz klar.
Ganz herzlichen Dank, Conrad, für die Präzisierung, Erweiterung, Vertiefung. Breite Zustimmung meinerseits!
Mir war – in meinem Artikel – bewusst, dass in dieser Kürze vieles ungesacht (= ungesagt + ungedacht) bleibt. Deshalb auch kurz vor Torschluss. Mut brauchte es auch. Ich habe Verständnis für alle nicht publizierten Gedanken anderer.
Danke fürs Dabeisein bei der 3. deutschsprachigen Blog-Challenge. Auch dieser Beitrag von dir geht so in die Tiefe, dass ich ihn in Ruhe und mit Genuss lese und nicht eben mal nebenbei.
Klar ist Europa ein Kontinent. Zwar nicht geografisch, aber kulturell, historisch, humanistisch....
Eine genaue Grenze wäre eine historische Absurdität. Und eine menschengemachte und somit politische Grenze, die sich nicht ändert, die wäre auch abseits der chinesischen Mauer gar keine Grenze. Wäre Europa kein Kontinent der Europäer, so wäre jedes Wir der Welterklärer schneller als Fiktion entlarvt als Reinhold Messner “I bin Erschter” rufen kann. Und auch ohne dessen Größenselbst wäre die Frage nach den höchschten Bergen eine typisch europäische geworden. So wie auch die uralte Frage nach einer Weltregierung und deren Damen und Herren ohne nennenswerte Namen und Eigenschaften eine ureuropäische ist. Und auf absehbare Zeit auch eine solche bleiben wird.
Auch nach dreimaligem Lesen dieses Kommentars kann ich nicht sagen, ob er Zustimmung oder Ablehnung meiner Thesen ausdrücken will, oder noch etwas ganz anderes :)
Man könnte statt Fiktion natürlich auch Konstrukt sagen: denn wenn die Grenze kulturell gezogen wird, dann könnte sie auch ganz anders gezogen werden. Eine Fiktion, ein Konstrukt kann ja trotzdem sowohl seine Wirkmacht als auch seine Berechtigung haben. Im Vergleich zu den anderen kontinentalen Aufteilungen macht die zwischen Europa und Asien aber auch kulturell, historisch und humanistisch weniger Sinn als die anderen, weil die Geschicke bspw. von Griechen und Persern, von allen religiösen Strömen von Ost nach West, usw. Europa und Asien eigentlich eher verbanden als trennten. So gibt es auch nur für Europa und Asien Länder, die auf beiden Kontinenten liegen (zumindest Russland und die Türkei).
"Russland" (noch so ein Wir, noch dazu ein bäriges ;-) hadert traditionell zwischen Asien und Europa. Ebenso "die" Türkei. Ob das verbindend ist, wage ich nicht zu beurteilen, solange es nicht einmal "die" Russen und Türken selbst schaffen. Den Spezialisten für das Problem muss historisch aber irgendein wesentlicher (kultureller) Unterschied aufgefallen sein. Der Text schiebt den Griechen die Begründung des Problems in den Schuh. Den zieh ich mir gern an, denn sie begründeten damit eine große Zivilisation. Es war bislang die prägendste. Was in der Folge vor allem an günstiger (ja, exeptioneller) Geografie lag. Und nicht und niemals zu vergessen: Reinhold Messner!
Ein großartiger Beitrag, der mich nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich tief beeindruckt hat.
Vieles von dem, was hier formuliert wurde, entspricht genau meiner eigenen Sichtweise, aber ich hätte es niemals in dieser Klarheit und Tiefe zum Ausdruck bringen können.
Gerade die Einordnung Europas als wirkmächtige Fiktion und die nüchterne Darstellung der historischen Zusammenhänge finde ich bemerkenswert.
Die kritische Rückfrage bezüglich ‘Hybris und Weltherrschaft’ verstehe ich persönlich nicht – auch für mich ist es nachvollziehbar, dies als ein gesamteuropäisches Phänomen einzuordnen, nicht nur bezogen auf einzelne Staaten.
Ich bin dankbar für diesen Essay, der nicht nur informiert, sondern zum eigenständigen Nachdenken anregt.
Endlich habe ich es geschafft (akuter Lese-Rückstand), diesen Artikel zu lesen. Und bin total erstaunt, dass nur drei Personen hier kommentiert haben! O.O Es gibt doch zu Deinen Gedanken so viel zu sagen!
Du packst immer unglaublich viele Gedanken in einen Artikel, so dass einem gleich beim ersten Lesen klar wird, dass man sich nur einen Punkt herausgreifen kann. Schade, aber es ist schlicht nicht möglich, alle die "Bälle" aufzufangen und zurückzuspielen.
Ich blieb bei Deiner Fußnote Nummer 3 und dem Thema "christliches Mittelalter" hängen. Hier wäre in meinen Augen eine "natürlichere" regionale Einteilung/Abgrenzung Eurasiens zu finden: Nämlich grob in Gebiete nach (überwiegender) Religion.
Vor einiger Zeit schaute ich mal die BBC historic farm series an und ich musste bei Deiner Fußnote an die Serie Tudor Monastery Farm denken, in der auch berichtet wird, wie anders die Denkweise der Menschen damals war, auch in ihrer Vorstellung von der (Arbeits-)Zeit.
Menschen so zum Krieg aufzuhetzen, wie es heute leicht machbar ist, das scheint mir einfach in den damaligen kleinen Strukturen, in denen jeder noch erkennen konnte, wie abhängig er von seinen Nachbarn ist, nicht möglich gewesen zu sein. Und, ja, Geld war noch nicht der (Haupt-)Gott der kleinen Leute. Bei den Herrschern (inklusive der organisierten Kirche) war das anders, aber die große Mehrzahl der Menschen dachte noch friedlich und gemeinschaftlich.
Deinem Schlusswort schließe ich mich vollumfänglich an:
Wir könnten mit allen Völkern (von unserer Seite aus) in Frieden leben, aber die den Deutschen offenbar eingepflanzte Arroganz, das Besserwissen, wie andere leben sollten, verhindert das. Fleischgewordenes Symbol dafür war wohl Annalena.
Dabei wäre es so einfach:
"Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein und werden – im Inneren und nach außen."
(Kann hier leider keine Verlinkung oder Fußnoten einbauen: https://www.willy-brandt-biografie.de/quellen/bedeutende-reden/regierungserklaerung-vor-dem-bundestag-in-bonn-28-oktober-1969/ )
Doch so lange die Menschen nicht erkennen, dass der, der sie gegeneinander aufhetzt, damit Geld verdient, so lange werden sie sich immer wieder spalten lassen.
Ich bin selbstredend entzückt, dass endlich einmal jemand eine Fußnote kommentiert :) Und Fußnoten in den Kommentaren wäre meiner Ansicht nach ein grandioses Feature!
Ich bin nicht sicher, aber ich glaube ich erwähne im Haupttext, dass um 1500 herum die Grenze zwischen Europa und Asien per Religionszugehörigkeit gesetzt werden könnte. Aber das gilt natürlich nur für bestimmte Abschnitte, denn 500 vor Christus gab es noch kein Christentum, und selbiges breitete sich meiner Erinnerung nach zunächst stärker in Asien aus als in Europa, und wurde vor allem durch die Ausbreitung des Islam im 7. Jhd dort zu einer Randerscheinung.
Ich weiß zu wenig über das Mittelalter per se, aber dass die Welt- und Selbstwahrnehmung eine stark andere war als heute scheint mir äußert plausibel, wenn man die Radikalität der Umbrüche in der frühen Neuzeit bedenkt (mit denen ich mich schon etwas mehr befasst habe), insbesondere das Aufkommen -- wie Ivan Illich es darstellt -- der modernen Technologie und dem damit einhergehenden Anspruch, die Welt dem Menschen anzupassen statt andersherum.
Und das Verständnis der Manipulierbarkeit der "Massen", die es so im Mittelalter natürlich auch noch nicht gab, war natürlich noch nicht entwickelt. Denn wenn junge Menschen, wie im 20. Jahrhundert, gut gelaunt in den Krieg ziehen (jeder Stoß ein Franzos), dann sind sie, so scheint es mir sein zu müssen, einer starken Massensuggestion aufgesessen.
Zuerst herzlichen Dank für deinen ausführlichen Beitrag! Dazu ein paar Gedanken:
‐ Seltsam, dass du Hybris und Weltherrschaft(sgelüste) mit Europa verbindest. Warum nicht eher mit den USA (!), mit Frankreich, England und Deutschland? – Ansonsten bin ich mit vielen Details natürlich ganz einverstanden.
- Seltsam berührt mich auch der "fiktive Kontinent". Dass die Grenze zu Asien nicht genau zu definieren ist, hindert mich nicht daran, Europa als kontinente Landmasse zu empfinden.
- Persönlich finde ich den Übergang zu Asien als "ausgebreitet Schwelle" hoch interessant. Genauso wie der Übergang von Alaska nach Asien, nur eben landschaftlich ganz anders geformt. Wie es "lehrreich" war, eine Zeit auf Granit zu verbringen (im Gotthardmassiv) und eine Zeit auf Kalk (im Jura, Westschweiz), um die unterschiedlichen Qualität zu erspüren, so wäre es gut, wenn wir eigene Erlebnisse in der Übergangszone nach Osten haben könnten.
- Zu den großen Schwierigkeiten, die Europa hat, sich zu finden: Vielleicht ist die Tatsache, dass sich die Widersachermächte im 20. Jh. so intensiv hier eingemischt haben, ein Hinweis darauf, dass da auch im Positiven viel Potential vorhanden ist, nach wie vor. Das könnte bedeuten, dass wir sowohl im individuell Menschlichen als auch im Gemeinschaftlichen – ich denke gerade an die soziale Dreigliederung – noch viel Arbeit vor uns haben. In diesem Zusammenhang vermute ich a) im verbreiteten Pessimismus, b) in der gesellschaftlichen Umbauhysterie und c) in der "Faszination" (!) der "Künstlichen Intelligenz" nichts weniger als groß angelegte Ablenkungsmanöver. Was wir für ein zukünftiges Europa brauchen, ist nicht Faszinationalismus, sondern kühlen Kopf, warmes Herz und ... Gute Taten!
Hey, als ich Deinen Beitrag las, dachte ich auch, dass es auf einer bestimmten Ebene nicht zusammen passt, zu sagen, dass Europa eine Fiktion ist und dass Europa ein Organismus ist mit einer Europäischen Seele, und dass es aber doch oft so ist, wie Egon Friedell auch sagt, dass sich Wahrheiten oft dadurch auszeichnen, dass ihre Negation auch wahr ist, und dass Wahrheiten immer etwas Paradoxes haben. (Man könnte vllt vermuten, dass es zwar einen europäischen Organismus gibt, Europa insofern eine Realität ist, die die alten Griechen auch gespürt haben, dass diese Wahrnehmung aber aktuell äußerst verschüttet ist von einer Fiktion von Europa, deren aktuellste Variante die EU ist, hinter der "das wahre Europa" (was man so natürlich nicht sagen darf, weil Lord Voldemort Höcke es sagt) schwer zu finden ist.
Vielleicht ist es in meinem Artikel nicht klar genug herausgekommen, dass ich (in diesem Artikel) die USA als eine Art Neu-Europa betrachte, also aus dem fiktionalen Europa-Begriff herausarbeite, dass "europäischer" Ungeist die ganze Welt (kulturell und wirtschaftlich) durchdringt, und eine relativ nahtlose Weltherrschaftsmanie seit der Neuzeit von Europa ausgehend konstatiere, die aktuell ihren Schwerpunkt im neu-europäischen Amerika hat. (Womit ich nicht leugne, dass die genetisch und kulturell zutiefst europäische Prägung in Amerika auf eine ganz andere, nämlich nord-südlich statt ost-westlich orientierte Geographie trifft (was Margot ja in ihrem Artikel auch aufgefallen ist).
Wenn ich mir die Kulturepochen, wie Steiner sie präsentiert, vor Augen führe, dann haben wir eine Art Spiralbewegung, die von Asien nach Europa führt, dann aber zukünftig wieder Richtung Osten und dann, etwas unterbestimmt, vielleicht weil weit weg, in ein ganz anderen Amerika als wir es heute kennen, führen wird.
Zu deinen letzten beiden Punkten breite Zustimmung :) Insbesondere, dass es Deutschland (und generell Mitteleuropa mit Polen) nicht gelingt, sich aus dem Alten zu lösen, empfinde ich als erschütternde Nicht-Einlösung des Potentials, weil es meinem Verständnis nach durchaus die Möglichkeiten gäbe, und damit auch die Verantwortung des Menschen, sich gegen die Widersachermächte zu behaupten, und diese Verantwortung liegt zu sehr brach. Ich würde deinen letzten Gedanken in "meinem" Vokabular so ausdrücken, dass wir an weisheitsvollen Gedanken ansetzend, diese in unserem Denken bewegen müssen, ohne willentlich darauf zuzugreifen, sodass sich klare Empfindungen entwickeln, die dann unser Handeln motivieren, zu dem wir uns aber in jedem Moment neu entscheiden müssen. :)
Liebe Grüße in die Schweiz (die ich leider viel zu wenig kenne), momentan aus Südtirol!
Aus dem Südtirol bist du sehr schnell un der Schweiz! Eingang Südost ;-) Müstair. Wunderschön!
Gut zu wissen, war aber nur auf der Durchreise, vom Trentino zurück nach Belgien.
Noch zwei Gedanken. Zuerst zur Fiktion: Ein Blick auf ein kleines Land in Mitteleuropa zeigt nebst Bergen, Käse, Schokolade und Taschenmesser 4 Landessprachen. Drumherum 4 nette Nachbarn, die fanzösisch, italienisch und/oder deutsch sprechen, ähnlich wie wir auch. Wir sind real, nicht fiktional. Und wir schlagen uns schon länger nicht mehr die Köpfe ein. Europa ist zwar viel größer, aber die Konfiguration dünkt mich sehr ähnlich. Da wir (fast alle) noch nicht so lange kontinental und global denken und empfinden – und handeln – scheint es mir nicht unverständlich, dass sich Europa noch nicht wirklich "gefunden" hat. Die EU ist ein zu schnell geschustertes Ding, vergleichbar mit einem Paar Schuhe, für die du mir (Musiker, nicht Schuhmacher) den Auftrag und eine Stunde Zeit gibst. Die EU ist eben nicht von Weisen gemacht worden, sondern von Politikern und Bürokraten und: Geistern, die ein gesundes Europa eher verhindern als fördern wollen.
Das zweite: Natürlich ist Amerika "genetisch" neu-europäisch. Aber: Das sind nicht kleine vorgelagerte Inseln, sondern Kontinente mit großen und starken eigenen "Kontinentalgeistern", welche die Ankömmlinge recht schnell und kräftig mitgeprägt haben. Das drückt sich in den USA u.a. in der Physiognomie aus, ... und im nicht gänzlich erfolglosen Bestreben, als Großmacht andere Länder zu dominieren. Sogar die Autos sind dort etwas größer ;-)
Zu Europa hat Bernard Lievegoed 1990 "Mensheitsperspectieven" geschrieben (deutsch: Alte Mysterien und soziale Evolution, Fr. Geistesleben 1991), SEHR lesenswert.
Lieben Gruß in den europäischen Norden!
Vielleicht muss man real und fiktional nicht unbedingt als absolute Gegensätze sehen. Shakespeares Charaktere sind fiktional, aber real genug, dass Steiner über sie schreibt, dass man sie im Geistigen als reale Charaktere finden kann, oder so ähnlich. Dass die iberische Halbinsel in zwei Länder geteilt ist statt in eins oder vier, scheint mir historisch kontingent, genauso dass der deutschsprachige Raum sich nicht in der großdeutschen Lösung vereint hat, sondern in der kleindeutschen. (Bzw. wäre es auch möglich, und kulturell vllt stimmiger gewesen, wenn Baden-Württemberg (minus Kurpfalz) und Bayern zu Österreich gehörten.) Und ich kenne die Geschichte der Schweiz nicht unheimlich gut, aber könnte man hier nicht auch annehmen, dass zuerst das Land kam und dann ein Nationalgeist sich entwickelt hat? Für Belgien gilt dies sicherlich, denn in der Unabhängigkeitsbestrebung 1830 ging es um religiöse Autonomie, nicht um nationale Unabhängigkeit. Wobei ich das Gefühl habe, dass Belgien es eigentlich nie geschafft hat, einen Nationalgeist zu entwickeln, was vielleicht ja auch ganz angenehm ist.
Das Buch schaue ich mir gerne mal an, wenn ich es finde :)
Zum 🇨🇭-"Nationalgeist": eher nicht zuerst das Land. Wenn nicht aus der geistigen Welt eine "Aufforderung" / "Einladung gekommen wäre, wär's eher plausibel gewesen, dass die Alpen eine Grenze bilden entlang der Sprachgrenze d/it, der "Röstigraben" – die Sprachgrenze fr/d – hätte die Landesgrenze Deutschland Frankreich nach Süden fortsetzen können. Ich meine, es war anders vorgesehen. Aber natürlich ist auch anderes möglich, ganz klar.
Du hast recht: Es ist immer noch (viel) komplizierter, als man (ich) es kurz in Sprache fassen kann.
Ganz herzlichen Dank, Conrad, für die Präzisierung, Erweiterung, Vertiefung. Breite Zustimmung meinerseits!
Mir war – in meinem Artikel – bewusst, dass in dieser Kürze vieles ungesacht (= ungesagt + ungedacht) bleibt. Deshalb auch kurz vor Torschluss. Mut brauchte es auch. Ich habe Verständnis für alle nicht publizierten Gedanken anderer.
... Fortsetzung folgt, der Garten ruft gerade ...
Danke fürs Dabeisein bei der 3. deutschsprachigen Blog-Challenge. Auch dieser Beitrag von dir geht so in die Tiefe, dass ich ihn in Ruhe und mit Genuss lese und nicht eben mal nebenbei.
Klar ist Europa ein Kontinent. Zwar nicht geografisch, aber kulturell, historisch, humanistisch....
Eine genaue Grenze wäre eine historische Absurdität. Und eine menschengemachte und somit politische Grenze, die sich nicht ändert, die wäre auch abseits der chinesischen Mauer gar keine Grenze. Wäre Europa kein Kontinent der Europäer, so wäre jedes Wir der Welterklärer schneller als Fiktion entlarvt als Reinhold Messner “I bin Erschter” rufen kann. Und auch ohne dessen Größenselbst wäre die Frage nach den höchschten Bergen eine typisch europäische geworden. So wie auch die uralte Frage nach einer Weltregierung und deren Damen und Herren ohne nennenswerte Namen und Eigenschaften eine ureuropäische ist. Und auf absehbare Zeit auch eine solche bleiben wird.
Auch nach dreimaligem Lesen dieses Kommentars kann ich nicht sagen, ob er Zustimmung oder Ablehnung meiner Thesen ausdrücken will, oder noch etwas ganz anderes :)
Man könnte statt Fiktion natürlich auch Konstrukt sagen: denn wenn die Grenze kulturell gezogen wird, dann könnte sie auch ganz anders gezogen werden. Eine Fiktion, ein Konstrukt kann ja trotzdem sowohl seine Wirkmacht als auch seine Berechtigung haben. Im Vergleich zu den anderen kontinentalen Aufteilungen macht die zwischen Europa und Asien aber auch kulturell, historisch und humanistisch weniger Sinn als die anderen, weil die Geschicke bspw. von Griechen und Persern, von allen religiösen Strömen von Ost nach West, usw. Europa und Asien eigentlich eher verbanden als trennten. So gibt es auch nur für Europa und Asien Länder, die auf beiden Kontinenten liegen (zumindest Russland und die Türkei).
"Russland" (noch so ein Wir, noch dazu ein bäriges ;-) hadert traditionell zwischen Asien und Europa. Ebenso "die" Türkei. Ob das verbindend ist, wage ich nicht zu beurteilen, solange es nicht einmal "die" Russen und Türken selbst schaffen. Den Spezialisten für das Problem muss historisch aber irgendein wesentlicher (kultureller) Unterschied aufgefallen sein. Der Text schiebt den Griechen die Begründung des Problems in den Schuh. Den zieh ich mir gern an, denn sie begründeten damit eine große Zivilisation. Es war bislang die prägendste. Was in der Folge vor allem an günstiger (ja, exeptioneller) Geografie lag. Und nicht und niemals zu vergessen: Reinhold Messner!