6 Kommentare
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Avatar von Sofia B.

Ich habe das Kapitel jetzt auch gelesen und war froh, als Nicht-Philosophin folgen zu können (bis auf das Namedropping, Collingwood who?).

Du weist in deinem Text auf einen interessanten Punkt hin: korrumpieren vs. weiterentwickeln einer Praxis. Wie entscheiden wir, ob wir eine Veränderung als ersteres oder letzteres bewerten? Messen wir mit den Maßsstäben derer, die die Praxis etabiliert haben, ähnliche wie MacIntyre in seinem Gedankenexperiment zum Aussterben der Naturwissenschaften? Haben die Menschen in der Revival-Phase des Gedankenexperiments nur das Ziel, wieder klassische Naturwissenschaft zu betreiben? Dann wäre es korrumpierend oder zumindest unvollständig. Oder haben sie noch andere Ziele, deren Maßsstäbe wir nicht kennen oder verstehen?

Das erscheint mir unbefriedigend, denn es wurden sicherlich Dinge erfolgreich weiterentwickelt und haben sich dabei von den Maßstäben ihrer Erfinder*innen entfernt (natürlich will mir jetzt kein Beispiel einfallen). Das heißt, scheint mir, es muss noch etwas anderes geben, um die Veränderung zu bewerten.

Ich bin sehr gespannt auf die weitere Reise :)

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Avatar von Conrad Knittel

Mir fällt ein Beispiel ein, das vllt nicht gerade aus dem Alltag ist. Der Literaturwissenschaftler Harold Bloom hat eine Theorie aufgestellt, nach der Literaten, er bezieht sich vor allem auf Dichter, ihren eigenen Stil durch die Auseinandersetzung mit den Vorgängern finden, wobei sie deren Werk aber notwendigerweise fehlinterpretieren. https://de.wikipedia.org/wiki/Harold_Bloom

Und es gibt die These, dass Paulus die Lehren des Christus fehlinterpretiert hat, etwas ganz Anderes daraus geformt hat, was man auch insgesamt im Laufe jeder Institution beobachten kann, dass sie nicht mehr dem Zweck dient, für den sie geschaffen wurde. (irgendwer hat das als "Gesetz" formuliert, ich komme aber gerade nicht mehr darauf, wer.)

Das wären zwei Beispiele, sozusagen ein positives und ein negatives, wie aus dem Nicht-Korrekt-Verstehen des Alten etwas Positives Neues, (kreative Kunst) oder etwas Schlechtes (Intoleranz) entsteht.

Wenn wir das Beispiel auf die Moralphilosophie oder generell den ethischen Diskurs anwenden, dann haben die Menschen aber ja das Ziel, mehr zu sagen als: Mir persönlich gefällt es, wenn die Dinge so und so gehandhabt werden (Emotivismus). Nur dass es ihnen nicht mehr gelingt, dies auch als Praxis wirklich zu erfüllen, weil sie eigentlich nur den Emotivismus als Wahl haben, so MacInytre (2. & 3. Kapitel) -- so wie die Menschen im Gedankenexperiment ja durchaus eine Praxis entwickelt haben, in der und von der sie potentiell gut leben können. Nur betreiben sie eben keine Naturwissenschaft in unserem Sinne mehr -- in der Analogie also betreiben wir keine Moral mehr im Sinne der Antike und des Mittelalters. Ob das gut oder schlecht ist, ist eine andere Frage als die, ob es überhaupt so ist. Und beide Fragen wird MacIntyre beantworten müssen! (Und natürlich, weil er über Fundamente der Bewertung spricht, was wir überhaupt meinen, wenn wir von "gut" und "schlecht" sprechen. (Denn vllt meinen wir ja nur emotivistisch: "Ich finde das (rein subjektiv) gut/schlecht."

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Avatar von Conrad Knittel

Collingwood habe ich ebenfalls noch nie gehört gehabt ;) Ist glaube ich auch nicht weiter wichtig.

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Avatar von Evan Garrett

Ich habe endlich ein bisschen Zeit gehabt, ein paar Artikel von dir zu lesen (bzw. mir anzuhören), sie sind wirklich sehr gut. Mir gefällt, wie du MacIntyre darstellt hast. Ich lese gerade auch sein Buch und sehe viele Verbindungen zwischen seinen Postulaten und dem, was ich schon vermutete, sobald ich anfing, Aristoteles und Thomas von Aquin zu lesen.

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Avatar von Conrad Knittel

Dankeschön :) Aber Moment, deine Lesereihenfolge war Aristoteles, Aquinat, und dann erst MacIntyre? ;) Und hast du nicht schon einige Artikel zu MacIntyre gepostet? Oder posten über deinen Account mehrere Leute? Ich habe mir noch sein Ethics in the conflicts of modernity bestellt, bin gespannt, aber muss erst noch After Virtue das letzte Drittel lesen, und jetzt ist mir Jean Gebser so ein bisschen dazwischen gekommen, zudem rang ich seit Monaten mit dem Kauf eines Buches über Ivan Illich, das irgendwie unkäuflich war, aber jetzt habe ich ein Exemplar ergattern können und es hat nur 130% vom ursprünglich veranschlagten Preis gekostet... Ach, was quassel ich mir da wieder zusammen... ;) Hast Du Ivan Illich rezipiert?

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Avatar von Bernhard Erne

Eigentlich müsste die "Katastrophe" mit dem Übergang zur Epoche der Bewusstseinsseele (nach Steiner), also der Renaissance, zu tun haben, um 1500.

Jedenfalls bleibt es spannend.

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