Wie schön. Mein Vatertag betstand aus drei Stunden Monopoli mit unseren drei Halbwüchsigen und einem Film. Club der Toten Dichter. Dein Text war ein passender Abschluss. Eine Zugmeditation. Danke!
Interessante Gedanken aus vielen verschiedenen Richtungen. Danke fürs Aufschreiben und Teilen.
"Ich vermute, dass man nur aus der eigenen Entscheidung heraus absolut böse werden kann. Aber woher kann ich wissen, dass ich nicht eines Tages, in der fernen Zukunft, genau eine solche verheerende Entscheidung treffen könnte?"
Das verstehe ich gut. Wenn man genug Lebenserfahrung hat und das eigene Potential zum Bösen mitbekommen hat - oder auch das derjenigen von denen man solches nie geahnt hätte - kann man wirklich Angst bekommen.
Aber woher wissen wir was böse ist? 90% der Sexualstraftäter halten sich für unschuldig. Ab wann ist man böse, zu böse, gerade noch so gut oder normal gut?
Wer bewertet das? Das Gesetz? Die gesellschaftliche Norm? Im antiken Rom war es normal ungewollte Babys von der Klippe zu werfen. Kein schlechtes Gewissen.
Sind wir denn jetzt, so wie wir sind, gut oder böse? Wenn es eine Waage gibt, auf der unsere Taten und Gedanken ausbalanciert werden, wer hat diese in der Hand? Wie werden die einzelnen Handlungen gewichtet? Von wem? Von unseren Freunden, Feinden oder Opfern? Oder von uns selbst? Aber sind wir nicht viel gnädige mit uns selbst als mit anderen? Können wir das objektiv beurteilen?
Freue mich über deine Gedanken dazu und zugfahrtunabhängigen interreligiösen Austausch ;)
"Aber woher wissen wir was böse ist?" Das ist tatsächlich die Frage. Ich denke, da "böse" eine metaphysische Kategorie ist, geht uns der Begriff verloren, bzw. wird unhandlich, untauglich, und überflüssig, wenn wir keine metaphysischen Erkenntnisse mehr zulassen, a.k.a. Szientismus/Materialismus/Physikalismus.
Die verschiedenen religiösen und philosophischen Traditionen haben das Böse als Phänomen aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet, dabei scheinen mir zwei Aspekte relativ übergreifend durchzuschimmern: Das Böse ist eine Art Wirkprinzip, das der göttlichen/kosmischen/geistigen/ideenhaften Ordnung zuwider strebt; es hat aber keine unabhängige Existenz, sondern ist seinerseits Teil dieser Ordnung, also auch "gottgewollt", erfüllt eine Aufgabe, nämlich Widerstand, an dem man wachsen kann.
Was kann dann aber absolut böse heißen? Vielleicht, dass etwas sich so sehr von dieser göttlichen Ordnung entfernt hat, dass es keinerlei Anteil mehr daran hat? Ist es dann unrettbar verloren? (i don't know)
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Irgendwie in Kontakt mit dieser metaphysischen Dimension, aber doch auch relativ freidrehend davon existieren unsere Sitten und Gebräuche, also das, was Ethos und Morus ursprünglich bedeuten, und diese sollen dem Geist nach ihrerseits von Gesetzen eingefangen werden. In Rom war es normal, ungewollte Babys von der Klippe zu werfen, in unserer Kultur ist es "normal", sie vor der Geburt abzutreiben. Aus traditionell christlicher Sicht wäre beides offensichtlich Mord, oder zumindest mordähnlicher Todschlag, so oder so also Sünde, also eine Handlung, die dem göttlichen Willen zuwiderläuft. Dafür hat der Christ typischerweise keine Probleme damit, eine Kuh zu schlachten, was widerum im Hindusimus ein Sakrileg wäre, und besonders im Jainismus würde dies für alle tierischen Lebewesen gelten, selbst Insekten.
Meinen eigenen Überlegungen zufolge müsste man unterscheiden zwischen der bloßen irdischen Handlung und den zugrundeliegenden Motiven. Ahimsa, die Gewaltlosigkeit ist auf der irdischen Ebene nicht möglich, denn unsere bloße Existenz vernichtet andere Existenzen, nimmt ihnen Ressourcen weg. Aber mit welcher Haltung ich diesen anderen Existenzen begegne, die ich vernichte, macht meine irdisch gewaltvolle Handlung möglicherweise zu einer seelisch gewaltfreien (oder -armen) Handlung. Ich denke, dass darum traditionelle Jäger vor dem Erlegen eines Tieres zum Geist des Tieres "beteten" und um Erlaubnis fragten, das Tier zu töten und es auch nur töteten, wenn diese erteilt wurde. (Tiere töten ist jetzt einfach nur ein mögliches und relativ einfaches Beispiel.)
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Die Vorstellung, wir könnten als Menschen selbst entscheiden, nach welchen Werten wir leben wollen, uns also unsere Moral selbst geben, ist letztlich die Nietzscheanische Vorstellung vom Übermenschen. Auf diese Idee kann man eigentlich nur kommen, wenn man in einer Gesellschaft lebt, die so dekadent geworden ist, dass sie jeden Anspruch auf Befolgung ihrer Regeln tatsächlich verloren hat. In einer solchen Gesellschaft lebte Nietzsche sicherlich und wir wohl auch. Anstatt aber sozusagen das Kind mit dem Bade auszukippen, braucht es meines Erachtens eine Neuausrichtung auf die unverlorenen Weisheitstraditionen aller großen Kulturen (und das sind ja alle Kulturen zu bestimmten Zeitpunkten; und auch die Idee, dass es keine Weisheit gäbe, oder keine Wert-Unterschiede zwischen verschiedenen Phasen einer Kultur, kann einem nur in einer äußerst geistlosen Zeit kommen). Meines Erachtens hat Dostojewskij, Zeitgenosse Nietzsches, korrekt vorausgesagt, dass der Verlust des (lebendigen) Christentums im Westen einerseits zu einem hedonistisch-individualistischen Nihilismus, andererseits zu einem Rückfall in anti-individualistische Gewaltherrschaft führen würde, in beiden Fällen zu einer Art kulturellem Suizid. (Diesen Gedankengang habe ich von Jordan Peterson.)
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Was heißt das konkret? Es war noch nie so einfach wie heute, einerseits sich pausenloser Ablenkung hinzugeben, um sich bloß nicht weiterentwickeln zu müssen und um nicht merken zu müssen, wie unangenehm sich eine geistlose Gesellschaft eigentlich anfühlt (man könnte weniger metaphysisch vllt formulieren, eine Gesellschaft (Deutschland), der ihr Mojo verlorengegangen ist.). Die Menschen wollen nicht mehr arbeiten, das ist einerseits schlecht, aber andererseits fühlen sich ihre Jobs zu großen Teilen sinnlos an, weil sie es auch sind. Die Menschen wollen sich nicht mehr mit anderen Menschen dauerhaft verbinden, weil sie ständig enttäuscht wurden und werden, aber gleichzeitig lechzen sie nach Verbindung, weil das der tiefste Wunsch in der Seele des Menschen ist. (Yoga bedeutet, ebenso wie Religion, einer bestimmten Etymologie nach, sich verbinden.)
Es war andererseits aber auch nie so einfach wie heute, an alten Weisheitstraditionen anzuknüpfen, und dabei im ersten Schritt vor allem an denen, die einem sympathisch entgegenkommen. Ich habe bisher nicht beobachten können, dass es einen Menschen gäbe, dem keine einzige sympathisch entgegegenkommt. Wer mit dem Christentum nichts anfangen kann, vielleicht weil er den persönlichen Aspekt Gottes ablehnt, oder die Kirche mit ihrer Tradition der (vollkommen den Evangelien zuwider laufenden) Verfolgung und Diffamierung Andersdenkender wird oft genug im altgriechischen Denken oder im chinesischen etwas finden können, das ihm "aus der Seele spricht".
Ich bin überzeugt, dass die Menschen, die sich dann fest gegründet haben, worin auch immer, und vllt muss es nicht einmal eine alte Tradition sein, aber diese haben den Vorteil, über Jahrtausende abgeschliffen worden zu sein, bemerken können, dass es eine Art Einheit der Religionen (und Philosophien) gibt, und dass das Streben nach dem Höchsten, das durchaus weltlich orientiert sein darf, wie Mahatma Gandhis Leben demonstriert, erst wahren Frieden möglich macht. (Die schrecklichen Kriege aller Zeiten und vor allem des 20. Jahrhunderts wie auch die aktuell neuentfachten Konflikte sind ja alle Ausdruck des Glaubens, was mit Gewalt erkauft sei, könne Bestand haben, obwohl Gewalt nach Isaac Asimov "die letzte Zuflucht des Unfähigen" ist, und wir ja auch sehen können, wie die heutigen Kriege aufs Engste mit der Gewalt der jüngeren Vergangenheit zu tun haben. (Auge um Auge macht die ganze Welt blind.))
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Und an der im Westen aufflammenden Idee, man müsse jetzt militärisch aufrüsten, um sich zu schützen, können wir ablesen, wie geistfrei und wie unlogisch diese Kultur sich verhält. Eine viel bessere Strategie wäre es in meinen Augen, die Ausbeutung und Unterdrückung des Rests der Welt zu beenden und sich in die Rolle zu bescheiden, die einem daraus zukommt. Deutlich weniger materieller Wohlstand, vielleicht aber dafür leuchtendere Augen und ein gesünderes Verhältnis zueinander.
Das nenne ich eine Antwort! Vielen Dank für diese vielschichtigen Gedanken! (Habe ich eigentlich schon abonniert? ☑️)
Ich werde die nächsten Tage genießen das gründlich durchzumeditieren. (… und während ich das schreibe, frage ich mich ob das Genießen solcher Übelegungen und der Zeitvertreib den wir damit betreiben zum Guten führt oder uns gar vom Guten abhält. Denn könnten wir nicht auch in der selben Zeit sehr viele praktische Hilfe an anderen leisten? Und da sind wir wieder bei der inneren Motivation, der Bewertung anderer und der Frage was besser ist und welche Quellen uns sagen, was besser ist… spannend spannend. )
Was mir aber jetzt spontan einfällt: So wie du am Anfang schreibst, denke ich auch, dass das Böse Gegenteil des Guten ist. Aber meinst du, es ist ein aktives Wirkprinzip? Ich hab öffter überlegt, ob es vielleicht einfach die Abwesenheit alles Guten ist. Da wo es kein Licht gibt, ist Schatten und Dunkelheit. Da wo keine Schönheit ist, ist Hässlichkeit. In dem Sinne. In diesem Sinne wäre Gott die Kumulation des Guten - das Gute selbst. Die Abwesenheit Gottes also das Schlechte. Wo kommt der Teufel da ins Spiel? Er wäre demnach nicht das Böse, sondern eine Kraft, die den Einfluss des Guten unterbindet und vom Guten trennen möchte.
Ich pflichte dir bei, dass eine Gesellschaft, die meint ihre eigenen moralischen Regeln entwerfen zu können, ein Problem hat. Meinst du also, dass das gesammelte Menschheitswissen sämtlicher Epochen uns dann den richtigen Weg zum Guten weisen wird? Dann sind wir doch mit der fortschreitenden Entwicklung der KI nicht mehr weit davon entfernt, oder?
Noch eine Verständnisfrage: Was meinst du mit dem „persönlichen Aspekt Gottes“ aufgrund dessen manche nichts mit dem christlichen Glauben anfangen könnten?
Zur Frage zuletzt: Ich meine damit einfach nur, dass Gott im Christentum als eine Art Person vorgestellt wird, mit einem Willen, mit Kommunikation etc. Der traditionsreiche "Gott der Philosophen" ist oft eher eine Art "letzte Ursache", die aber nicht als Person vorgestellt wird, die einem begegnen (oder einen lieben) kann, sondern als reine Kraft. (Ähnlich im Taoismus und manchen Strömungen des Buddhismus.) Der Hinduismus verbindet beide Möglichkeiten, indem er sehr undogmatisch davon ausgeht, dass Gott einem eben auf die Art und Weise erscheint, auf die man ihn verehrt. Mir ist das sympathisch, weil es einen integralen Ansatz statt einem ausschließenden bietet.
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Ich meine nicht, dass das "gesammelte Menschheitswissen sämtlicher Epochen" relevant ist, sondern nur die gesammelte Weisheit :) Und ich glaube nicht, dass KI uns helfen wird, mehr von der Weisheit (wieder) zu entdecken. Ich könnte mich irren, aber ich denke, KI wird uns nur noch unfähiger machen, selbst vernünftige Gedanken zu denken, dabei Unsinn und Kluges voneinander zu unterscheiden, und um Erkenntnisse wirklich zu ringen. Selbst wenn KI Dir Weisheiten ausspucken kann (warum sollte sie das nicht können), kannst du mit ihnen nicht viel anfangen, wenn du nicht weise bist :)
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Zur Frage nach dem Teufel/Bösen als aktivem Wirkprinzip vs. Abwesenheit des Guten. Ich denke, das schließt sich nicht notwendigerweise aus, sondern kann auf verschiedenen Ebenen des Seins angesiedelt sein. Meiner Metaphysik nach hat das Böse keine absolute Realität, sondern ist teil der relativen Welt. Christlich könnte man vllt formulieren, dass das Böse im Bereich der Engel eingeschlagen ist, nicht im Bereich der Trinität selbst. Dazu würde passen, dass der Teufel in den Traditionen, die ihn vorsehen, ja im Grunde genommen die ihm von Gott vorgesehene Rolle erfüllt, nämlich als Widersacher zu wirken. Wenn Gott dies nicht gewollt hätte, hätte Er es nicht zugelassen. (Demnach würde ich die Theodizee-Frage dahingehend beantworten, dass Gott das Böse verhindern könnte, aber nicht will, und dass nur ein rationalistisch verblendeter Tor daraus schließen würde, dass er dann "missgünstig" sei.)
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Was du in deinem Absatz davor ansprichst, ist in meinen Augen die Achillesferse jeder Form von Utilitarismus, also der Idee, man solle sein Handeln danach ausrichten, das größte Glück für die meisten Menschen zu fördern. Es ist schlicht überhaupt nicht absehbar, welche Handlung dann in einer gegebenen Situation die richtige wäre, weil wir nicht wissen können, was die Folgen unserer Handlungen in 10, 100, oder 1000 Jahren sein werden.
Als Christ kann man sich ja z.B. auch fragen: Sollte ich nicht lieber die ganze Zeit nur beten und die Bibel studieren? (Und Menschen kamen zum Schluss, dass das in der Tat der richtige Weg sei und wurden Eremiten oder gründeten Klöster.) Oder lieber die ganze Zeit für andere aufopferungsvoll dasein? (Auch dem haben sich manche Orden verschrieben.) Oder reicht es, wenn ich hin und wieder in die Kirche gehe und ansonsten führe ich ein völlig weltliches Leben? (Das wurde der Mainstream, auch wenn meines Wissens die Reformation von der Idee getragen wurde, dass dies nicht reichen kann.)
Ich denke, dass wir diesbezüglich ein Stück weit unseren Intuitionen folgen. (Auf Substack bezogen könnte man ja auch fragen: Warum schreibt man eine Antwort auf einen Kommentar, den wahrscheinlich genau eine Person lesen wird, statt eine neue Note oder einen Post zu verfassen, den vll. 200 lesen werden?) Meine Intuition sagt mir, dass diesen Text zu schreiben das ist, was ich jetzt tun sollte. (Sie sagt auch, dass ich seit einer Stunde im Bett sein sollte. Kognitive Dissonanz.) Meine Intuition ist aber natürlich fehleranfällig und stark davon abhängig, was ich mir im Ganzen wie auch in Teilen meines Lebens zum Ziel gesetzt habe. (Und insofern umso fehleranfälliger, wenn ich mir nichts zum Ziel gesetzt habe oder nicht weiß, was, oder es ständig vergesse.)
Je nach Zielsetzung kann es durchaus zielführend sein, nur zu beten und die Bibel zu lesen (verkürzt gesprochen). Oder aber, seine gesamte Freizeit mit Computerspielen zu verbringen. Oder damit, Bilder zu malen (van Gogh).
Ich gehe davon aus, dass man einen Lebensauftrag mitbringt, dem man mehr oder weniger gerecht werden kann, und typischerweise, würde ich vermuten, wird man ihm weniger gerecht, wenn man seine Zeit mit Computerspielen verbringt, aber wer weiß? Die Wege des Herrn sind unergründlich, sagt man, oder im Englischen: Nothing puzzles God.
Das sind jetzt natürlich nur so random Überlegungen, die spontan entstehen xD Aber ich denke der Dreischritt: 1) Was ist mein Welt- und Menschenbild? - 2) Was folgere ich daraus für Zielsetzungen für mein Leben? und 3) Was tue ich konkret, um diese Ziele umzusetzen? gibt einem meistens ausreichend Orientierung bei der Frage, was konkret zu tun wäre. Was denkst du? :)
Danke für deine Antwort. Auch ich habe mich entschieden mir die Nacht um die Ohren zu schlagen, um dir zu antworten. Teilweise aus hedonistischen Gründen, denn es macht mir Spaß und teilweise aus hedonistischen Gründen, denn es könnte uns beide ja langfristig zu hilfreichen Erkenntnissen führen, die unser Glück maximieren ;)
Vielleicht müsstest du es mir noch mal erklären warum man eine unpersönliche Kraft einem persönlichen Gott vorziehen sollte. So ganz erschließt sich mir das nicht. Wir sind doch zutiefst auf Beziehungen ausgelegt. Menschen sterben aus Einsamkeit. Es ist ein fundamentales Grundbedürfnis. Wäre das nicht so, als wollte man einem Hungernden sagen, er solle vom Sonnenschein leben? Vielleicht kommt da zu sehr mein christliches Weltbild durch, aber ist unser Sein als Beziehungs- und Kommunikationswesen nich ein starker Hinweis darauf, dass ein Gott das genauso gewollt hat - eben um auch Gemeinschaft und Austausch mit den Wesen, die er erschuf, haben zu können?
Ich pflichte dir absolut bei, dass KI uns wohl nicht dem Heiligen Gral näher bringt. Sie ist immerhin nur von beschränkten Wesen programmiert. Ob man nicht als generelles Prinzip sagen kann, dass die Schöpfung niemals den Schöpfer übertreffen wird? Jedenfalls ist die Unterscheidung von Wissen und Weisheit an dieser Stellen natürlich sinnvoll. Ich habe nur etwas Schwierigkeiten damit, dass der Ansatz sich diesen zu widmen um der Wahrheit näher zu kommen, unlogisch sein könnte. In letzter Instanz sind die Ansichten der großen Weltreligionen (und Weisheiten) so grundsätzlich unterschiedlich, dass sie sich widersprechen. Wenn auch in der Ausübung oft ähnlich (Nächstenliebe, Disziplin etc.), sind die Prämissen doch gegensätzlich. Ist es da nicht ein Trugschluss meinen zu können, es wäre überhaupt möglich sich einfach von allem das Beste auszusuchen und dann noch Logisch kohärent zu bleiben?
Ich gebe zu, dass ich im dritten Absatz so viele Aussagen nicht verstehe, dass ich ihn für mich als gänzlich unverständlich erkläre :D Falls du nochmal die Muße findest, ihn in anderen Worten wiederzugeben, würde ich das dankbar annehmen. Vielleicht kannst du darin auch erklären, ob du persönlich Gott als missgünstig sehen würdest, oder nicht. Ist im Text - für mich- etwas verwirrend. Wobei Theodizee-Frage ja sehr wichtig ist. Meine derzeitig Antwort darauf ist: Freier Wille.
Beim letzten Abschnitt bin ich total bei dir: Utilitarismus eignet sich auch aus meiner Sicht nicht, um uns objektiv klare Bewertungskriterien für unsere Gerechtigkeit zu geben. Deinen Dreischritt finde ich gut und praktiziere ihn auch in der Form - oder so ähnlich. Aber es bleibt immer noch die Frage nach der letztendlichen Beurteilung. Nicht nur das Handeln, auch die Motive spielen dabei eine Rolle. Und am Ende bleibt die Frage: Woher weißt du, ob es reicht? Obwohl da natürlich die Frage ist wofür. Was ist denn überhaupt deine Vorstellung vom Ende? Nirvana? Annihilation? Reinkarnation? Himmel? Und wie wird der gewünschte Endzustand nach dem Tod in deinem Weltbild erreicht? Um ein vernünftiges, gutes Leben zu führen braucht es ja noch nicht mal unbedingt eine Religion oder Spiritualität. Aber für die Zeit danach wird es dafür um so relevanter.
Danke für den Austausch. Ich frage mich, wann in deinem Leben du so viel Zeit gefunden hast, dir dein ganzes Wissen anzulesen und wie groß dein Kopf wohl ist - kannst du mal nachmessen? ;)
Ich überlege unsere Unterhaltung am Ende (vorausgesetzt wir finden eins ;) als Artikel zu posten. Vielleicht interessiert es ja noch jemanden. Was hältst du davon?
Danke, dass Du Deine Gedanken so offen mit uns teilst.
Du hast den Artikel als interreligiösen Dialog zwischen Yoga und Christentum überschrieben. Rudolf Steiner ist meines Wissens jedoch kein Vertreter des Christentums. Nach meinem Verständnis geht es bei beiden, Yoga und Anthroposophie, um Selbsterlösung; die Botschaft des Evangeliums/der Bibel ist hierzu konträr.
Um Deine Frage zu beantworten: Für mich ist es die Bibel.
Mir fiel beim Lesen Deines Artikels diese Liedzeile von Philipp Friedrich Hiller ein:
Du musst ziehen, mein Bemühen ist zu mangelhaft.
Wo ihr's fehle, fühlt die Seele; aber du hast Kraft.
Hey, danke für die Nachfrage. Also ich zitiere ja nicht hauptsächlich Rudolf Steiner, sondern auch die Bibel :) Und gehe eben darauf ein, dass Yogananda selbst immer wieder Bibelstellen kommentiert, so Adam und Eva.
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Es ist richtig, dass im Yoga traditionell moksha, die Selbsterlösung, als hauptsächliches Ziel angestrebt wird. Allerdings gibt es gerade in der Neuzeit auch yogische Ansätze, die dieses Ziel für nicht mehr zeitgemäß halten, weil es um die Erlösung der ganzen Schöpfung aus dem Irrtum gehen müsse. Allerdings könnte man sagen, dass der Yoga oft weiterhin relativ jenseitig ausgerichtet ist und sich wenig für die sozialen und kulturellen Belange im Diesseits interessiert. Aber von Sri Aurobindo bspw. wird berichtet, dass er intensiv an den Auseinandersetzungen im 2. Weltkrieg teilnahm, und Hitler als eine "der Sonne entgegengesetzte Kraft" ansah und auf geistiger Ebene gegen den Impuls des Nationalsozialismus kämpfte. (Was immer das heißen mag.)
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Die Anthroposophie hingegen ist ganz anders ausgerichtet und es geht ihr nicht um Selbsterlösung, sondern, so würde ich sagen, um eine kulturelle Durchgeistigung des Westens. Rudolf Steiner wollte gerne soziale und kulturelle Initiativen gründen, die sehr diesseitig auf die Verbesserung der Lebensverhältnisse, allerdings im Sinne eines christlich-geistigen Impulses, gerichtet sind. (So hat er die Waldorfschulen, die Demeter-Landwirtschaft, Banken, Firmen, darunter vor allem Weleda und Wala zu nennen, einen neuen christlichen Ritus (die Christengemeinschaft), und die sogenannte Dreigliederungs-Bewegung begründet oder die Ideen gestiftet, zudem hat er sich vielen Künsten gewidmet und mit der Eurythmie eine neue Bewegungskunst geschaffen.)
Rudolf Steiner hat auch einmal ausgeführt, dass die alte Yoga-Kultur ganz im Luftseelenprozess angesiedelt sei, und in der Neuzeit aber stattdessen ein feinstofflicherer Lichtseelenprozess kennenzulernen sei. (Was immer das heißen mag.)
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In der offiziellen christlichen Tradition, die über viele Jahrhunderte bestimmte Ansichten als ketzerisch und häretisch ausgrenzte und verfolgte, ist das Verständnis der Evangelientexte meines Erachtens verloren gegangen, weil es der Kirche nicht mehr vordergründig um ihre Heilsaufgabe ging, sondern sie sich zunehmend als weltlicher Machtfaktor verstand. (Mit Ivan Illich kann man von der Institutionalisierung des Glaubens und der Kriminalisierung der Sünde sprechen.) Rudolf Steiner bietet, so empfinde ich das, faszinierende Erläuterungen vieler Bibelstellen, die für das moderne Verständnis ziemlich kryptisch sind, oft auch für die vielen Bibelstellen, die sich gegenseitig zu widersprechen scheinen. Emil Bock hat Steiners Angaben folgend in 7 Bänden seine "Beiträge zur Geistesgeschichte der Menschheit" verfasst, die auf das Alte und Neue Testament Bezug nehmen. Emil Bock hatte evangelische Theologie studiert, und war dann in der Christengemeinschaft führend aktiv.
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Was ich damit in langer Rede ausdrücken wollte ist, dass sich Rudolf Steiner und die Anthroposophie sehr wohl als christlich verstehen und verstanden, und in meinen Augen sogar ein tieferes Verständnis des Christentums ermöglichen. In diesem Sinne kann auch jede Religion oder Weltanschauung christlich sein oder sich dem annähern, auch wenn sie keinen Bezug auf die historischen Ereignisse zur Zeitenwende in Palästina nimmt, insofern sie den christlichen Impuls aufnimmt (was halbwegs exoterisch gesprochen bedeutet, den Menschen zu Freiheit und Liebe bringen will). Und in diesem Sinne könnte der erwähnte Sri Aurobindo durchaus christlicher gewirkt haben als bspw. Papst Franziskus.
Ich danke Dir für Deine ausführlichen Erläuterungen. Jedoch bleibe ich bei meiner Aussage, dass Steiners Lehre konträr zum Evangelium steht.
Conrad, ich habe länger überlegt, ob ich hier antworten sollte. Immer wieder nahm ich Anlauf und musste meine Ausführungen wieder verwerfen. Man muss sich über dieses Thema in einem persönlichen Gespräch austauschen, da ist - auch wenn ich mich schriftlich normalerweise besser ausdrücken kann als mündlich - doch auch immer das Wahrnehmen des Gegenübers und dessen Reaktion auf das Gesagte wichtig.
Ich fand aber hier: https://www.youtube.com/watch?v=cg5LJ-yZkPk eine Überlegung über den Unterschied zwischen Religion und Spiritualität, von der ich glaube, dass sie Dir gefallen könnte.
Habe mir das Video angeschaut, sehr schöne Aufnahmen und es juckt einem richtig in den Fingern etwas mit Holz zu bauen, wenn man ihm dabei zuschaut. Lebt der irgendwo in Süddeutschland? Kennst du ihn?
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Was er in der zweiten Hälfte ausführt, ist auch gut auf den Punkt gebracht und ich würde im Wesentlichen allem zustimmen. Ich unterscheide diesbezüglich zwischen Happy-go-Lucky-Esoterik (ich nutze Spiritualität für mein Wohlergehen, will aber keine Bürden tragen) und Spiritualität im eigentlichen Sinne. (Dazu passend habe ich mich eben hier geäußert: https://substack.com/@werkeundtage/note/c-126992153 )
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Ich denke, dass Religion ohne Spiritualität lediglich eine soziale (ordnende) Funktion hat (immerhin) und Spiritualität ohne Religion dazu tendiert, zu frei zu drehen, oder eklektisch sich überall das herauszupicken, was einem gefällt. Insofern -- und das ist ja oft ein Punkt östlicher Lehrer gewesen -- ist die spirituelle Praxis unabhängig von einer Religion, und die Religion, die man "mitgegeben" bekommen hat durch seine Geburt in eine bestimmte Zeit, Kultur und Familie muss niemals aufgegeben werden, sondern ist kompatibel mit Spiritualität. (Auch wenn das dogmatische Vertreter einer Religion gerne mal anders sehen, weil bspw. die katholische Kirche irgendwann beschlossen hat, dem Menschen den Anteil am Geistigen abzuerkennen oder generell das Christentum dazu neigt, allen anderen Wegen die Möglichkeit, zum Heil zu führen, abspricht. Aber der Kern spiritueller Praktiken ist und bleibt Meditation, und die gibt es in allen mir bekannten Religionen auf die eine oder andere Weise.)
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Was allerdings nicht die Frage beantwortet, inwiefern Rudolf Steiners Ausführungen (ich würde nicht von "Lehre" sprechen, auch wenn es sicherlich dogmatische Anthroposophen gab und gibt, die aus seinen Worten eine Lehre zusammengezimmert haben) konträr zum Evangelium stehen. Die ersten Vorträge, die ich von Steiner gelesen habe, waren alles Kommentare zum Johannes-Evangelium, und es gibt auch Ausführungen zu den anderen Evangelien, die mir die dort geschilderten Vorgänge (und vor allem auch die Abweichungen der Evangelien untereinander) erst halbwegs verständlich gemacht haben. (Der von mir bereits erwähnte Emil Bock hat das finde ich sehr gut zusammengefasst.)
Was natürlich stimmt, ist, dass Steiners Ausführungen in mindestens zwei Aspekten deutlich von der traditionellen Dogmatik der Kirchen abweicht: nämlich dass er Karma und Reinkarnation für zentrale Aspekte unserer Wirklichkeit hält und dass er die gesamte vorchristliche Weltgeschichte, all dessen, was das institutionalisierte Christentum dann später abgelehnt und bekämpft hat, als Vorausschau und Vorspiegelung der Ereignisse zur Zeitenwende in einen gesamt-kosmischen Heilsplan einbettet.
Beides scheint mir dem Geist der Evangelien aber nicht konträr. Aber darüber können wir uns dann gerne auch in einem persönlichen Gespräch austauschen :)
"Lebt der irgendwo in Süddeutschland? Kennst du ihn?"
Nein, er ist Österreicher und hat sich eine verfallene Steinhütte in den italienischen Alpen restauriert. Ich kenne ihn nicht (und bin auch nicht katholisch), habe damals (Ende 2021) über https://www.youtube.com/watch?v=MF1jJy1F-8I seinen Kanal gefunden.
Es gibt noch weitere Videos von ihm (immer am Ende mit einer Reflexion), auch eben zu Spiritualität vs Religion. Ich dachte mir einfach, seine philosophische Art könnte Dir gefallen 😊
Im ersten angepinnten Kommentar unter den Videos ist übrigens jeweils der Text der Reflexion verlinkt.
Muss erst noch über den Artikel nachdenken. Aber vorab schon mal:
**"wenn ich dazu verdammt wäre, für immer alleine in diesem Zug zu sitzen, auch noch irgendwo südlich von Stuttgart"** (Kommentare zu Artikeln auf der eigenen Domain kann man leider nicht formatieren.)
Pffft! Rate mal, wer "südlich von Stuttgart" lebt!
hehe, ich hab mal in Reutlingen gewohnt, d.h. eigentlich in Gönningen, das noch etwas außerhalb liegt. Wunderschön da! Nur habe ich das Gefühl gehabt, mit meiner offenen ostbelgisch bis rheinländisch geprägten Art bei den Schwaben auf wenig Gegenliebe zu stoßen und jedenfalls mich dort recht einsam gefühlt :) Aber, um Philip Larkin zu zitieren, “it's not the place's fault,' I said. 'Nothing, like something, happens anywhere.'“
Reutlingen: Schade, sonst könnten wir uns am Samstag auf'n Erfrischungsgetränk dort treffen.
Ich denke, es war früher schon so, dass die Schwaben eher zurückhaltend waren und nicht gleich am Biertresen mit jedem, der ein Kölsch bestellte, ins Gespräch kamen. Aber mittlerweile leben so viele andere Leute hier, dass man doch problemlos mit jemandem ins Gespräch kommen kann. Und Arbeitskollegen können einen auch in die Eingeborenenkreise einführen 😉
Ich fahre gerne mit dem Zug, lebe aber auch in Österreich :o)
Ich mag vieles und das wechselt auch. Etwas wirklich Berührendes zu finden, ist seltener geworden (bei Büchern), aber wenn ich zur Ruhe komme, ist Friede da, das ist öfter.
Mir wird beim Bahnfahren immer ganz komisch zumute. Im Auto nicht. Es ist also nicht die Reise, sondern irgendwas anderes.
Böse. Für mich sind das schlicht Leute mit Persönlichkeitsmerkmalen der Dunklen Triade. Nicht mehr, nicht weniger. Wenn daraus irgendwie Menschen mit Empathie werden könnten, wäre das neu und sehr spannend. Mehr und weiter verbreitetes Wissen über diese Dinge könnte auch schon einen enormen Impact auf die Welt haben.
Interessant, das mit den Bahnfahrten. Eine Möglichkeit wäre, dass du Bahnfahren, vllt auch schon das Ritual des Betretens über den Bahnhof, als Entortlichung erlebst, wie Foucault es in “Von anderen Orten” andeutet. Das Auto hingegen ist für viele Menschen ja wie ihr Wohnzimmer :)
Zum Bösen. Ja, so zeigt es sich beim Menschen, im Hang zu egoistischen und utilitaristischen Trieben. Als Metaphysiker siedle ich dahinter ein wirkendes Prinzip, eigentlich sogar mehrere an (nämlich drei, weshalb dunkle Triade ganz gut passen würde); für den Alltag spielt es aber kaum eine Rolle. Und die Befürchtung, die Menschheit könnte “absolut böse” werden, könnte man dann vielleicht nicht-metaphysisch übersetzen zu: Die Menschheit könnte in einem Art Krieg aller gegen alle versinken, bei dem alle Beteiligten so traumatisiert sind, dass sie sich aus diesem Sumpf nicht wieder herausgezogen kriegen. Eine Art beschränkten Vorgeschmack auf ein solches Szenario bieten vllt die nigerianischen Kindersoldaten.
Ganz normal menschliche Menschen und jene Individuen mit Persönlichkeitsmerkmalen der Dunklen Triade kann man zum Glück objektiv voneinander unterscheiden. Gebrauch z.B. beim Besetzen von Positionen wird davon leider nicht gemacht. Wer entscheidet wohl darüber?
Traumatisierung kann sich ganz unterschiedlich auswirken. Dass sie Menschen böse macht, ist eine Lüge, die heute ständig gebraucht wird, um bestimmte Dinge stubenrein zu machen. Es hätte sich ja niemals eine Gesellschaft entwickelt, wie wir sie bis vor kurzem noch hatten aus all dem Trauma heraus, sogar in all der Traumatisierung haben Menschen so gut wie möglich ihre Menschlichkeit gelebt.
Das mit Bahn versus Auto und Entortlichung trifft es wirklich ganz gut!
Nachtrag: Wobei mir da diese Beispiele einfallen, wo jemand sich die Bahncard kauft und dann über längere Zeit dort wohnt und ganz er selbst ist. Gibt es dafür auch einen Begriff, sich einen Ort völlig anzueignen, der eigentlich völlig ungeeignet dafür ist?
So viel Freiheit und so wenig Wurzeln.“ Sehr schön, wie du schreibst. Musste lachen bei der Beobachtung, dass die Leute in Plum Village, das Zusammenkommen dann auch zum zusammen kommen nutzen.
Wie schön. Mein Vatertag betstand aus drei Stunden Monopoli mit unseren drei Halbwüchsigen und einem Film. Club der Toten Dichter. Dein Text war ein passender Abschluss. Eine Zugmeditation. Danke!
Interessante Gedanken aus vielen verschiedenen Richtungen. Danke fürs Aufschreiben und Teilen.
"Ich vermute, dass man nur aus der eigenen Entscheidung heraus absolut böse werden kann. Aber woher kann ich wissen, dass ich nicht eines Tages, in der fernen Zukunft, genau eine solche verheerende Entscheidung treffen könnte?"
Das verstehe ich gut. Wenn man genug Lebenserfahrung hat und das eigene Potential zum Bösen mitbekommen hat - oder auch das derjenigen von denen man solches nie geahnt hätte - kann man wirklich Angst bekommen.
Aber woher wissen wir was böse ist? 90% der Sexualstraftäter halten sich für unschuldig. Ab wann ist man böse, zu böse, gerade noch so gut oder normal gut?
Wer bewertet das? Das Gesetz? Die gesellschaftliche Norm? Im antiken Rom war es normal ungewollte Babys von der Klippe zu werfen. Kein schlechtes Gewissen.
Sind wir denn jetzt, so wie wir sind, gut oder böse? Wenn es eine Waage gibt, auf der unsere Taten und Gedanken ausbalanciert werden, wer hat diese in der Hand? Wie werden die einzelnen Handlungen gewichtet? Von wem? Von unseren Freunden, Feinden oder Opfern? Oder von uns selbst? Aber sind wir nicht viel gnädige mit uns selbst als mit anderen? Können wir das objektiv beurteilen?
Freue mich über deine Gedanken dazu und zugfahrtunabhängigen interreligiösen Austausch ;)
"Aber woher wissen wir was böse ist?" Das ist tatsächlich die Frage. Ich denke, da "böse" eine metaphysische Kategorie ist, geht uns der Begriff verloren, bzw. wird unhandlich, untauglich, und überflüssig, wenn wir keine metaphysischen Erkenntnisse mehr zulassen, a.k.a. Szientismus/Materialismus/Physikalismus.
Die verschiedenen religiösen und philosophischen Traditionen haben das Böse als Phänomen aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet, dabei scheinen mir zwei Aspekte relativ übergreifend durchzuschimmern: Das Böse ist eine Art Wirkprinzip, das der göttlichen/kosmischen/geistigen/ideenhaften Ordnung zuwider strebt; es hat aber keine unabhängige Existenz, sondern ist seinerseits Teil dieser Ordnung, also auch "gottgewollt", erfüllt eine Aufgabe, nämlich Widerstand, an dem man wachsen kann.
Was kann dann aber absolut böse heißen? Vielleicht, dass etwas sich so sehr von dieser göttlichen Ordnung entfernt hat, dass es keinerlei Anteil mehr daran hat? Ist es dann unrettbar verloren? (i don't know)
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Irgendwie in Kontakt mit dieser metaphysischen Dimension, aber doch auch relativ freidrehend davon existieren unsere Sitten und Gebräuche, also das, was Ethos und Morus ursprünglich bedeuten, und diese sollen dem Geist nach ihrerseits von Gesetzen eingefangen werden. In Rom war es normal, ungewollte Babys von der Klippe zu werfen, in unserer Kultur ist es "normal", sie vor der Geburt abzutreiben. Aus traditionell christlicher Sicht wäre beides offensichtlich Mord, oder zumindest mordähnlicher Todschlag, so oder so also Sünde, also eine Handlung, die dem göttlichen Willen zuwiderläuft. Dafür hat der Christ typischerweise keine Probleme damit, eine Kuh zu schlachten, was widerum im Hindusimus ein Sakrileg wäre, und besonders im Jainismus würde dies für alle tierischen Lebewesen gelten, selbst Insekten.
Meinen eigenen Überlegungen zufolge müsste man unterscheiden zwischen der bloßen irdischen Handlung und den zugrundeliegenden Motiven. Ahimsa, die Gewaltlosigkeit ist auf der irdischen Ebene nicht möglich, denn unsere bloße Existenz vernichtet andere Existenzen, nimmt ihnen Ressourcen weg. Aber mit welcher Haltung ich diesen anderen Existenzen begegne, die ich vernichte, macht meine irdisch gewaltvolle Handlung möglicherweise zu einer seelisch gewaltfreien (oder -armen) Handlung. Ich denke, dass darum traditionelle Jäger vor dem Erlegen eines Tieres zum Geist des Tieres "beteten" und um Erlaubnis fragten, das Tier zu töten und es auch nur töteten, wenn diese erteilt wurde. (Tiere töten ist jetzt einfach nur ein mögliches und relativ einfaches Beispiel.)
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Die Vorstellung, wir könnten als Menschen selbst entscheiden, nach welchen Werten wir leben wollen, uns also unsere Moral selbst geben, ist letztlich die Nietzscheanische Vorstellung vom Übermenschen. Auf diese Idee kann man eigentlich nur kommen, wenn man in einer Gesellschaft lebt, die so dekadent geworden ist, dass sie jeden Anspruch auf Befolgung ihrer Regeln tatsächlich verloren hat. In einer solchen Gesellschaft lebte Nietzsche sicherlich und wir wohl auch. Anstatt aber sozusagen das Kind mit dem Bade auszukippen, braucht es meines Erachtens eine Neuausrichtung auf die unverlorenen Weisheitstraditionen aller großen Kulturen (und das sind ja alle Kulturen zu bestimmten Zeitpunkten; und auch die Idee, dass es keine Weisheit gäbe, oder keine Wert-Unterschiede zwischen verschiedenen Phasen einer Kultur, kann einem nur in einer äußerst geistlosen Zeit kommen). Meines Erachtens hat Dostojewskij, Zeitgenosse Nietzsches, korrekt vorausgesagt, dass der Verlust des (lebendigen) Christentums im Westen einerseits zu einem hedonistisch-individualistischen Nihilismus, andererseits zu einem Rückfall in anti-individualistische Gewaltherrschaft führen würde, in beiden Fällen zu einer Art kulturellem Suizid. (Diesen Gedankengang habe ich von Jordan Peterson.)
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Was heißt das konkret? Es war noch nie so einfach wie heute, einerseits sich pausenloser Ablenkung hinzugeben, um sich bloß nicht weiterentwickeln zu müssen und um nicht merken zu müssen, wie unangenehm sich eine geistlose Gesellschaft eigentlich anfühlt (man könnte weniger metaphysisch vllt formulieren, eine Gesellschaft (Deutschland), der ihr Mojo verlorengegangen ist.). Die Menschen wollen nicht mehr arbeiten, das ist einerseits schlecht, aber andererseits fühlen sich ihre Jobs zu großen Teilen sinnlos an, weil sie es auch sind. Die Menschen wollen sich nicht mehr mit anderen Menschen dauerhaft verbinden, weil sie ständig enttäuscht wurden und werden, aber gleichzeitig lechzen sie nach Verbindung, weil das der tiefste Wunsch in der Seele des Menschen ist. (Yoga bedeutet, ebenso wie Religion, einer bestimmten Etymologie nach, sich verbinden.)
Es war andererseits aber auch nie so einfach wie heute, an alten Weisheitstraditionen anzuknüpfen, und dabei im ersten Schritt vor allem an denen, die einem sympathisch entgegenkommen. Ich habe bisher nicht beobachten können, dass es einen Menschen gäbe, dem keine einzige sympathisch entgegegenkommt. Wer mit dem Christentum nichts anfangen kann, vielleicht weil er den persönlichen Aspekt Gottes ablehnt, oder die Kirche mit ihrer Tradition der (vollkommen den Evangelien zuwider laufenden) Verfolgung und Diffamierung Andersdenkender wird oft genug im altgriechischen Denken oder im chinesischen etwas finden können, das ihm "aus der Seele spricht".
Ich bin überzeugt, dass die Menschen, die sich dann fest gegründet haben, worin auch immer, und vllt muss es nicht einmal eine alte Tradition sein, aber diese haben den Vorteil, über Jahrtausende abgeschliffen worden zu sein, bemerken können, dass es eine Art Einheit der Religionen (und Philosophien) gibt, und dass das Streben nach dem Höchsten, das durchaus weltlich orientiert sein darf, wie Mahatma Gandhis Leben demonstriert, erst wahren Frieden möglich macht. (Die schrecklichen Kriege aller Zeiten und vor allem des 20. Jahrhunderts wie auch die aktuell neuentfachten Konflikte sind ja alle Ausdruck des Glaubens, was mit Gewalt erkauft sei, könne Bestand haben, obwohl Gewalt nach Isaac Asimov "die letzte Zuflucht des Unfähigen" ist, und wir ja auch sehen können, wie die heutigen Kriege aufs Engste mit der Gewalt der jüngeren Vergangenheit zu tun haben. (Auge um Auge macht die ganze Welt blind.))
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Und an der im Westen aufflammenden Idee, man müsse jetzt militärisch aufrüsten, um sich zu schützen, können wir ablesen, wie geistfrei und wie unlogisch diese Kultur sich verhält. Eine viel bessere Strategie wäre es in meinen Augen, die Ausbeutung und Unterdrückung des Rests der Welt zu beenden und sich in die Rolle zu bescheiden, die einem daraus zukommt. Deutlich weniger materieller Wohlstand, vielleicht aber dafür leuchtendere Augen und ein gesünderes Verhältnis zueinander.
Das nenne ich eine Antwort! Vielen Dank für diese vielschichtigen Gedanken! (Habe ich eigentlich schon abonniert? ☑️)
Ich werde die nächsten Tage genießen das gründlich durchzumeditieren. (… und während ich das schreibe, frage ich mich ob das Genießen solcher Übelegungen und der Zeitvertreib den wir damit betreiben zum Guten führt oder uns gar vom Guten abhält. Denn könnten wir nicht auch in der selben Zeit sehr viele praktische Hilfe an anderen leisten? Und da sind wir wieder bei der inneren Motivation, der Bewertung anderer und der Frage was besser ist und welche Quellen uns sagen, was besser ist… spannend spannend. )
Was mir aber jetzt spontan einfällt: So wie du am Anfang schreibst, denke ich auch, dass das Böse Gegenteil des Guten ist. Aber meinst du, es ist ein aktives Wirkprinzip? Ich hab öffter überlegt, ob es vielleicht einfach die Abwesenheit alles Guten ist. Da wo es kein Licht gibt, ist Schatten und Dunkelheit. Da wo keine Schönheit ist, ist Hässlichkeit. In dem Sinne. In diesem Sinne wäre Gott die Kumulation des Guten - das Gute selbst. Die Abwesenheit Gottes also das Schlechte. Wo kommt der Teufel da ins Spiel? Er wäre demnach nicht das Böse, sondern eine Kraft, die den Einfluss des Guten unterbindet und vom Guten trennen möchte.
Ich pflichte dir bei, dass eine Gesellschaft, die meint ihre eigenen moralischen Regeln entwerfen zu können, ein Problem hat. Meinst du also, dass das gesammelte Menschheitswissen sämtlicher Epochen uns dann den richtigen Weg zum Guten weisen wird? Dann sind wir doch mit der fortschreitenden Entwicklung der KI nicht mehr weit davon entfernt, oder?
Noch eine Verständnisfrage: Was meinst du mit dem „persönlichen Aspekt Gottes“ aufgrund dessen manche nichts mit dem christlichen Glauben anfangen könnten?
Also: Danke nochmal für die Denkanstöße!
Zur Frage zuletzt: Ich meine damit einfach nur, dass Gott im Christentum als eine Art Person vorgestellt wird, mit einem Willen, mit Kommunikation etc. Der traditionsreiche "Gott der Philosophen" ist oft eher eine Art "letzte Ursache", die aber nicht als Person vorgestellt wird, die einem begegnen (oder einen lieben) kann, sondern als reine Kraft. (Ähnlich im Taoismus und manchen Strömungen des Buddhismus.) Der Hinduismus verbindet beide Möglichkeiten, indem er sehr undogmatisch davon ausgeht, dass Gott einem eben auf die Art und Weise erscheint, auf die man ihn verehrt. Mir ist das sympathisch, weil es einen integralen Ansatz statt einem ausschließenden bietet.
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Ich meine nicht, dass das "gesammelte Menschheitswissen sämtlicher Epochen" relevant ist, sondern nur die gesammelte Weisheit :) Und ich glaube nicht, dass KI uns helfen wird, mehr von der Weisheit (wieder) zu entdecken. Ich könnte mich irren, aber ich denke, KI wird uns nur noch unfähiger machen, selbst vernünftige Gedanken zu denken, dabei Unsinn und Kluges voneinander zu unterscheiden, und um Erkenntnisse wirklich zu ringen. Selbst wenn KI Dir Weisheiten ausspucken kann (warum sollte sie das nicht können), kannst du mit ihnen nicht viel anfangen, wenn du nicht weise bist :)
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Zur Frage nach dem Teufel/Bösen als aktivem Wirkprinzip vs. Abwesenheit des Guten. Ich denke, das schließt sich nicht notwendigerweise aus, sondern kann auf verschiedenen Ebenen des Seins angesiedelt sein. Meiner Metaphysik nach hat das Böse keine absolute Realität, sondern ist teil der relativen Welt. Christlich könnte man vllt formulieren, dass das Böse im Bereich der Engel eingeschlagen ist, nicht im Bereich der Trinität selbst. Dazu würde passen, dass der Teufel in den Traditionen, die ihn vorsehen, ja im Grunde genommen die ihm von Gott vorgesehene Rolle erfüllt, nämlich als Widersacher zu wirken. Wenn Gott dies nicht gewollt hätte, hätte Er es nicht zugelassen. (Demnach würde ich die Theodizee-Frage dahingehend beantworten, dass Gott das Böse verhindern könnte, aber nicht will, und dass nur ein rationalistisch verblendeter Tor daraus schließen würde, dass er dann "missgünstig" sei.)
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Was du in deinem Absatz davor ansprichst, ist in meinen Augen die Achillesferse jeder Form von Utilitarismus, also der Idee, man solle sein Handeln danach ausrichten, das größte Glück für die meisten Menschen zu fördern. Es ist schlicht überhaupt nicht absehbar, welche Handlung dann in einer gegebenen Situation die richtige wäre, weil wir nicht wissen können, was die Folgen unserer Handlungen in 10, 100, oder 1000 Jahren sein werden.
Als Christ kann man sich ja z.B. auch fragen: Sollte ich nicht lieber die ganze Zeit nur beten und die Bibel studieren? (Und Menschen kamen zum Schluss, dass das in der Tat der richtige Weg sei und wurden Eremiten oder gründeten Klöster.) Oder lieber die ganze Zeit für andere aufopferungsvoll dasein? (Auch dem haben sich manche Orden verschrieben.) Oder reicht es, wenn ich hin und wieder in die Kirche gehe und ansonsten führe ich ein völlig weltliches Leben? (Das wurde der Mainstream, auch wenn meines Wissens die Reformation von der Idee getragen wurde, dass dies nicht reichen kann.)
Ich denke, dass wir diesbezüglich ein Stück weit unseren Intuitionen folgen. (Auf Substack bezogen könnte man ja auch fragen: Warum schreibt man eine Antwort auf einen Kommentar, den wahrscheinlich genau eine Person lesen wird, statt eine neue Note oder einen Post zu verfassen, den vll. 200 lesen werden?) Meine Intuition sagt mir, dass diesen Text zu schreiben das ist, was ich jetzt tun sollte. (Sie sagt auch, dass ich seit einer Stunde im Bett sein sollte. Kognitive Dissonanz.) Meine Intuition ist aber natürlich fehleranfällig und stark davon abhängig, was ich mir im Ganzen wie auch in Teilen meines Lebens zum Ziel gesetzt habe. (Und insofern umso fehleranfälliger, wenn ich mir nichts zum Ziel gesetzt habe oder nicht weiß, was, oder es ständig vergesse.)
Je nach Zielsetzung kann es durchaus zielführend sein, nur zu beten und die Bibel zu lesen (verkürzt gesprochen). Oder aber, seine gesamte Freizeit mit Computerspielen zu verbringen. Oder damit, Bilder zu malen (van Gogh).
Ich gehe davon aus, dass man einen Lebensauftrag mitbringt, dem man mehr oder weniger gerecht werden kann, und typischerweise, würde ich vermuten, wird man ihm weniger gerecht, wenn man seine Zeit mit Computerspielen verbringt, aber wer weiß? Die Wege des Herrn sind unergründlich, sagt man, oder im Englischen: Nothing puzzles God.
Das sind jetzt natürlich nur so random Überlegungen, die spontan entstehen xD Aber ich denke der Dreischritt: 1) Was ist mein Welt- und Menschenbild? - 2) Was folgere ich daraus für Zielsetzungen für mein Leben? und 3) Was tue ich konkret, um diese Ziele umzusetzen? gibt einem meistens ausreichend Orientierung bei der Frage, was konkret zu tun wäre. Was denkst du? :)
Danke für deine Antwort. Auch ich habe mich entschieden mir die Nacht um die Ohren zu schlagen, um dir zu antworten. Teilweise aus hedonistischen Gründen, denn es macht mir Spaß und teilweise aus hedonistischen Gründen, denn es könnte uns beide ja langfristig zu hilfreichen Erkenntnissen führen, die unser Glück maximieren ;)
Vielleicht müsstest du es mir noch mal erklären warum man eine unpersönliche Kraft einem persönlichen Gott vorziehen sollte. So ganz erschließt sich mir das nicht. Wir sind doch zutiefst auf Beziehungen ausgelegt. Menschen sterben aus Einsamkeit. Es ist ein fundamentales Grundbedürfnis. Wäre das nicht so, als wollte man einem Hungernden sagen, er solle vom Sonnenschein leben? Vielleicht kommt da zu sehr mein christliches Weltbild durch, aber ist unser Sein als Beziehungs- und Kommunikationswesen nich ein starker Hinweis darauf, dass ein Gott das genauso gewollt hat - eben um auch Gemeinschaft und Austausch mit den Wesen, die er erschuf, haben zu können?
Ich pflichte dir absolut bei, dass KI uns wohl nicht dem Heiligen Gral näher bringt. Sie ist immerhin nur von beschränkten Wesen programmiert. Ob man nicht als generelles Prinzip sagen kann, dass die Schöpfung niemals den Schöpfer übertreffen wird? Jedenfalls ist die Unterscheidung von Wissen und Weisheit an dieser Stellen natürlich sinnvoll. Ich habe nur etwas Schwierigkeiten damit, dass der Ansatz sich diesen zu widmen um der Wahrheit näher zu kommen, unlogisch sein könnte. In letzter Instanz sind die Ansichten der großen Weltreligionen (und Weisheiten) so grundsätzlich unterschiedlich, dass sie sich widersprechen. Wenn auch in der Ausübung oft ähnlich (Nächstenliebe, Disziplin etc.), sind die Prämissen doch gegensätzlich. Ist es da nicht ein Trugschluss meinen zu können, es wäre überhaupt möglich sich einfach von allem das Beste auszusuchen und dann noch Logisch kohärent zu bleiben?
Ich gebe zu, dass ich im dritten Absatz so viele Aussagen nicht verstehe, dass ich ihn für mich als gänzlich unverständlich erkläre :D Falls du nochmal die Muße findest, ihn in anderen Worten wiederzugeben, würde ich das dankbar annehmen. Vielleicht kannst du darin auch erklären, ob du persönlich Gott als missgünstig sehen würdest, oder nicht. Ist im Text - für mich- etwas verwirrend. Wobei Theodizee-Frage ja sehr wichtig ist. Meine derzeitig Antwort darauf ist: Freier Wille.
Beim letzten Abschnitt bin ich total bei dir: Utilitarismus eignet sich auch aus meiner Sicht nicht, um uns objektiv klare Bewertungskriterien für unsere Gerechtigkeit zu geben. Deinen Dreischritt finde ich gut und praktiziere ihn auch in der Form - oder so ähnlich. Aber es bleibt immer noch die Frage nach der letztendlichen Beurteilung. Nicht nur das Handeln, auch die Motive spielen dabei eine Rolle. Und am Ende bleibt die Frage: Woher weißt du, ob es reicht? Obwohl da natürlich die Frage ist wofür. Was ist denn überhaupt deine Vorstellung vom Ende? Nirvana? Annihilation? Reinkarnation? Himmel? Und wie wird der gewünschte Endzustand nach dem Tod in deinem Weltbild erreicht? Um ein vernünftiges, gutes Leben zu führen braucht es ja noch nicht mal unbedingt eine Religion oder Spiritualität. Aber für die Zeit danach wird es dafür um so relevanter.
Danke für den Austausch. Ich frage mich, wann in deinem Leben du so viel Zeit gefunden hast, dir dein ganzes Wissen anzulesen und wie groß dein Kopf wohl ist - kannst du mal nachmessen? ;)
Ich überlege unsere Unterhaltung am Ende (vorausgesetzt wir finden eins ;) als Artikel zu posten. Vielleicht interessiert es ja noch jemanden. Was hältst du davon?
https://www.getabstract.com/de/zusammenfassung/das-dekameron/4075
Erläutere gerne, was Du mir damit sagen willst :)
Gerne doch:
lobdertorheit.substack.com/p/auf-mein-wort
ich check's noch nicht :)
Ich auch nicht.
Danke, dass Du Deine Gedanken so offen mit uns teilst.
Du hast den Artikel als interreligiösen Dialog zwischen Yoga und Christentum überschrieben. Rudolf Steiner ist meines Wissens jedoch kein Vertreter des Christentums. Nach meinem Verständnis geht es bei beiden, Yoga und Anthroposophie, um Selbsterlösung; die Botschaft des Evangeliums/der Bibel ist hierzu konträr.
Um Deine Frage zu beantworten: Für mich ist es die Bibel.
Mir fiel beim Lesen Deines Artikels diese Liedzeile von Philipp Friedrich Hiller ein:
Du musst ziehen, mein Bemühen ist zu mangelhaft.
Wo ihr's fehle, fühlt die Seele; aber du hast Kraft.
Hey, danke für die Nachfrage. Also ich zitiere ja nicht hauptsächlich Rudolf Steiner, sondern auch die Bibel :) Und gehe eben darauf ein, dass Yogananda selbst immer wieder Bibelstellen kommentiert, so Adam und Eva.
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Es ist richtig, dass im Yoga traditionell moksha, die Selbsterlösung, als hauptsächliches Ziel angestrebt wird. Allerdings gibt es gerade in der Neuzeit auch yogische Ansätze, die dieses Ziel für nicht mehr zeitgemäß halten, weil es um die Erlösung der ganzen Schöpfung aus dem Irrtum gehen müsse. Allerdings könnte man sagen, dass der Yoga oft weiterhin relativ jenseitig ausgerichtet ist und sich wenig für die sozialen und kulturellen Belange im Diesseits interessiert. Aber von Sri Aurobindo bspw. wird berichtet, dass er intensiv an den Auseinandersetzungen im 2. Weltkrieg teilnahm, und Hitler als eine "der Sonne entgegengesetzte Kraft" ansah und auf geistiger Ebene gegen den Impuls des Nationalsozialismus kämpfte. (Was immer das heißen mag.)
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Die Anthroposophie hingegen ist ganz anders ausgerichtet und es geht ihr nicht um Selbsterlösung, sondern, so würde ich sagen, um eine kulturelle Durchgeistigung des Westens. Rudolf Steiner wollte gerne soziale und kulturelle Initiativen gründen, die sehr diesseitig auf die Verbesserung der Lebensverhältnisse, allerdings im Sinne eines christlich-geistigen Impulses, gerichtet sind. (So hat er die Waldorfschulen, die Demeter-Landwirtschaft, Banken, Firmen, darunter vor allem Weleda und Wala zu nennen, einen neuen christlichen Ritus (die Christengemeinschaft), und die sogenannte Dreigliederungs-Bewegung begründet oder die Ideen gestiftet, zudem hat er sich vielen Künsten gewidmet und mit der Eurythmie eine neue Bewegungskunst geschaffen.)
Rudolf Steiner hat auch einmal ausgeführt, dass die alte Yoga-Kultur ganz im Luftseelenprozess angesiedelt sei, und in der Neuzeit aber stattdessen ein feinstofflicherer Lichtseelenprozess kennenzulernen sei. (Was immer das heißen mag.)
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In der offiziellen christlichen Tradition, die über viele Jahrhunderte bestimmte Ansichten als ketzerisch und häretisch ausgrenzte und verfolgte, ist das Verständnis der Evangelientexte meines Erachtens verloren gegangen, weil es der Kirche nicht mehr vordergründig um ihre Heilsaufgabe ging, sondern sie sich zunehmend als weltlicher Machtfaktor verstand. (Mit Ivan Illich kann man von der Institutionalisierung des Glaubens und der Kriminalisierung der Sünde sprechen.) Rudolf Steiner bietet, so empfinde ich das, faszinierende Erläuterungen vieler Bibelstellen, die für das moderne Verständnis ziemlich kryptisch sind, oft auch für die vielen Bibelstellen, die sich gegenseitig zu widersprechen scheinen. Emil Bock hat Steiners Angaben folgend in 7 Bänden seine "Beiträge zur Geistesgeschichte der Menschheit" verfasst, die auf das Alte und Neue Testament Bezug nehmen. Emil Bock hatte evangelische Theologie studiert, und war dann in der Christengemeinschaft führend aktiv.
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Was ich damit in langer Rede ausdrücken wollte ist, dass sich Rudolf Steiner und die Anthroposophie sehr wohl als christlich verstehen und verstanden, und in meinen Augen sogar ein tieferes Verständnis des Christentums ermöglichen. In diesem Sinne kann auch jede Religion oder Weltanschauung christlich sein oder sich dem annähern, auch wenn sie keinen Bezug auf die historischen Ereignisse zur Zeitenwende in Palästina nimmt, insofern sie den christlichen Impuls aufnimmt (was halbwegs exoterisch gesprochen bedeutet, den Menschen zu Freiheit und Liebe bringen will). Und in diesem Sinne könnte der erwähnte Sri Aurobindo durchaus christlicher gewirkt haben als bspw. Papst Franziskus.
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Lass mich gerne wissen, was Du dazu denkst :)
Ich danke Dir für Deine ausführlichen Erläuterungen. Jedoch bleibe ich bei meiner Aussage, dass Steiners Lehre konträr zum Evangelium steht.
Conrad, ich habe länger überlegt, ob ich hier antworten sollte. Immer wieder nahm ich Anlauf und musste meine Ausführungen wieder verwerfen. Man muss sich über dieses Thema in einem persönlichen Gespräch austauschen, da ist - auch wenn ich mich schriftlich normalerweise besser ausdrücken kann als mündlich - doch auch immer das Wahrnehmen des Gegenübers und dessen Reaktion auf das Gesagte wichtig.
Ich fand aber hier: https://www.youtube.com/watch?v=cg5LJ-yZkPk eine Überlegung über den Unterschied zwischen Religion und Spiritualität, von der ich glaube, dass sie Dir gefallen könnte.
Habe mir das Video angeschaut, sehr schöne Aufnahmen und es juckt einem richtig in den Fingern etwas mit Holz zu bauen, wenn man ihm dabei zuschaut. Lebt der irgendwo in Süddeutschland? Kennst du ihn?
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Was er in der zweiten Hälfte ausführt, ist auch gut auf den Punkt gebracht und ich würde im Wesentlichen allem zustimmen. Ich unterscheide diesbezüglich zwischen Happy-go-Lucky-Esoterik (ich nutze Spiritualität für mein Wohlergehen, will aber keine Bürden tragen) und Spiritualität im eigentlichen Sinne. (Dazu passend habe ich mich eben hier geäußert: https://substack.com/@werkeundtage/note/c-126992153 )
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Ich denke, dass Religion ohne Spiritualität lediglich eine soziale (ordnende) Funktion hat (immerhin) und Spiritualität ohne Religion dazu tendiert, zu frei zu drehen, oder eklektisch sich überall das herauszupicken, was einem gefällt. Insofern -- und das ist ja oft ein Punkt östlicher Lehrer gewesen -- ist die spirituelle Praxis unabhängig von einer Religion, und die Religion, die man "mitgegeben" bekommen hat durch seine Geburt in eine bestimmte Zeit, Kultur und Familie muss niemals aufgegeben werden, sondern ist kompatibel mit Spiritualität. (Auch wenn das dogmatische Vertreter einer Religion gerne mal anders sehen, weil bspw. die katholische Kirche irgendwann beschlossen hat, dem Menschen den Anteil am Geistigen abzuerkennen oder generell das Christentum dazu neigt, allen anderen Wegen die Möglichkeit, zum Heil zu führen, abspricht. Aber der Kern spiritueller Praktiken ist und bleibt Meditation, und die gibt es in allen mir bekannten Religionen auf die eine oder andere Weise.)
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Was allerdings nicht die Frage beantwortet, inwiefern Rudolf Steiners Ausführungen (ich würde nicht von "Lehre" sprechen, auch wenn es sicherlich dogmatische Anthroposophen gab und gibt, die aus seinen Worten eine Lehre zusammengezimmert haben) konträr zum Evangelium stehen. Die ersten Vorträge, die ich von Steiner gelesen habe, waren alles Kommentare zum Johannes-Evangelium, und es gibt auch Ausführungen zu den anderen Evangelien, die mir die dort geschilderten Vorgänge (und vor allem auch die Abweichungen der Evangelien untereinander) erst halbwegs verständlich gemacht haben. (Der von mir bereits erwähnte Emil Bock hat das finde ich sehr gut zusammengefasst.)
Was natürlich stimmt, ist, dass Steiners Ausführungen in mindestens zwei Aspekten deutlich von der traditionellen Dogmatik der Kirchen abweicht: nämlich dass er Karma und Reinkarnation für zentrale Aspekte unserer Wirklichkeit hält und dass er die gesamte vorchristliche Weltgeschichte, all dessen, was das institutionalisierte Christentum dann später abgelehnt und bekämpft hat, als Vorausschau und Vorspiegelung der Ereignisse zur Zeitenwende in einen gesamt-kosmischen Heilsplan einbettet.
Beides scheint mir dem Geist der Evangelien aber nicht konträr. Aber darüber können wir uns dann gerne auch in einem persönlichen Gespräch austauschen :)
"Lebt der irgendwo in Süddeutschland? Kennst du ihn?"
Nein, er ist Österreicher und hat sich eine verfallene Steinhütte in den italienischen Alpen restauriert. Ich kenne ihn nicht (und bin auch nicht katholisch), habe damals (Ende 2021) über https://www.youtube.com/watch?v=MF1jJy1F-8I seinen Kanal gefunden.
Es gibt noch weitere Videos von ihm (immer am Ende mit einer Reflexion), auch eben zu Spiritualität vs Religion. Ich dachte mir einfach, seine philosophische Art könnte Dir gefallen 😊
Im ersten angepinnten Kommentar unter den Videos ist übrigens jeweils der Text der Reflexion verlinkt.
Dann müssen wir uns doch mal treffen. Ich schreib dir, wenn ich das nächste Mal durch Süddeutschland fahre.
Palaver ist herrlich! Mehr Zugfahrten!
Muss erst noch über den Artikel nachdenken. Aber vorab schon mal:
**"wenn ich dazu verdammt wäre, für immer alleine in diesem Zug zu sitzen, auch noch irgendwo südlich von Stuttgart"** (Kommentare zu Artikeln auf der eigenen Domain kann man leider nicht formatieren.)
Pffft! Rate mal, wer "südlich von Stuttgart" lebt!
hehe, ich hab mal in Reutlingen gewohnt, d.h. eigentlich in Gönningen, das noch etwas außerhalb liegt. Wunderschön da! Nur habe ich das Gefühl gehabt, mit meiner offenen ostbelgisch bis rheinländisch geprägten Art bei den Schwaben auf wenig Gegenliebe zu stoßen und jedenfalls mich dort recht einsam gefühlt :) Aber, um Philip Larkin zu zitieren, “it's not the place's fault,' I said. 'Nothing, like something, happens anywhere.'“
You are back!
Reutlingen: Schade, sonst könnten wir uns am Samstag auf'n Erfrischungsgetränk dort treffen.
Ich denke, es war früher schon so, dass die Schwaben eher zurückhaltend waren und nicht gleich am Biertresen mit jedem, der ein Kölsch bestellte, ins Gespräch kamen. Aber mittlerweile leben so viele andere Leute hier, dass man doch problemlos mit jemandem ins Gespräch kommen kann. Und Arbeitskollegen können einen auch in die Eingeborenenkreise einführen 😉
Ich fahre gerne mit dem Zug, lebe aber auch in Österreich :o)
Ich mag vieles und das wechselt auch. Etwas wirklich Berührendes zu finden, ist seltener geworden (bei Büchern), aber wenn ich zur Ruhe komme, ist Friede da, das ist öfter.
Danke für den Text.
Das klingt sehr friedlich :) Berührende Bücher, zumal Romane, ist bei mir auch seltener geworden.
Tja, vielleicht sollte mal wer einen Thread zum Thema Berührende Bücher, Filme, Serien etc. eröffnen :-)
Mir wird beim Bahnfahren immer ganz komisch zumute. Im Auto nicht. Es ist also nicht die Reise, sondern irgendwas anderes.
Böse. Für mich sind das schlicht Leute mit Persönlichkeitsmerkmalen der Dunklen Triade. Nicht mehr, nicht weniger. Wenn daraus irgendwie Menschen mit Empathie werden könnten, wäre das neu und sehr spannend. Mehr und weiter verbreitetes Wissen über diese Dinge könnte auch schon einen enormen Impact auf die Welt haben.
Interessant, das mit den Bahnfahrten. Eine Möglichkeit wäre, dass du Bahnfahren, vllt auch schon das Ritual des Betretens über den Bahnhof, als Entortlichung erlebst, wie Foucault es in “Von anderen Orten” andeutet. Das Auto hingegen ist für viele Menschen ja wie ihr Wohnzimmer :)
Zum Bösen. Ja, so zeigt es sich beim Menschen, im Hang zu egoistischen und utilitaristischen Trieben. Als Metaphysiker siedle ich dahinter ein wirkendes Prinzip, eigentlich sogar mehrere an (nämlich drei, weshalb dunkle Triade ganz gut passen würde); für den Alltag spielt es aber kaum eine Rolle. Und die Befürchtung, die Menschheit könnte “absolut böse” werden, könnte man dann vielleicht nicht-metaphysisch übersetzen zu: Die Menschheit könnte in einem Art Krieg aller gegen alle versinken, bei dem alle Beteiligten so traumatisiert sind, dass sie sich aus diesem Sumpf nicht wieder herausgezogen kriegen. Eine Art beschränkten Vorgeschmack auf ein solches Szenario bieten vllt die nigerianischen Kindersoldaten.
Ganz normal menschliche Menschen und jene Individuen mit Persönlichkeitsmerkmalen der Dunklen Triade kann man zum Glück objektiv voneinander unterscheiden. Gebrauch z.B. beim Besetzen von Positionen wird davon leider nicht gemacht. Wer entscheidet wohl darüber?
Traumatisierung kann sich ganz unterschiedlich auswirken. Dass sie Menschen böse macht, ist eine Lüge, die heute ständig gebraucht wird, um bestimmte Dinge stubenrein zu machen. Es hätte sich ja niemals eine Gesellschaft entwickelt, wie wir sie bis vor kurzem noch hatten aus all dem Trauma heraus, sogar in all der Traumatisierung haben Menschen so gut wie möglich ihre Menschlichkeit gelebt.
Das mit Bahn versus Auto und Entortlichung trifft es wirklich ganz gut!
Nachtrag: Wobei mir da diese Beispiele einfallen, wo jemand sich die Bahncard kauft und dann über längere Zeit dort wohnt und ganz er selbst ist. Gibt es dafür auch einen Begriff, sich einen Ort völlig anzueignen, der eigentlich völlig ungeeignet dafür ist?
So viel Freiheit und so wenig Wurzeln.“ Sehr schön, wie du schreibst. Musste lachen bei der Beobachtung, dass die Leute in Plum Village, das Zusammenkommen dann auch zum zusammen kommen nutzen.