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Avatar von Vektor7

Vielen Dank für diesen ausführlichen Texte und die Einblicke in deine Gedanken. Ich bin immer wieder fasziniert wie ausführlich, gekonnt und komplex zu schreibst. Inhaltlich ist es natürlich viel - aber das sagst du ja selbst. Man merkt, dass du dir sehr viele Gedanken machst, was natürlich das Ziel hat -wie du zu Beginn anführst- „zu wissen, wo er hin wolle“.

Ein erster Gedanke, der mir beim Lesen kam, war die Frage: Ist diese Komplexität des Nachforschens, wie du sie betreibst, eine notwendige Voraussetzung für religiöses Verständnis und rechten Lebenswandel? Wenn dem so sein sollte, dann ist die Welt zurecht verloren. Ich glaube dieses Niveau erreicht Herr Otto Normal nicht. Wird er auch nie. Was mich wiederum darüber nachdenken lies, dass die Bibel (obwohl sie viel Tiefe hat) in ihrer Einfachheit und Zugänglichkeit in so starkem Kontrast zu der damals herrschenden philosophisierten Antike steht. Interessant, dass sowohl Oma Gerda als auch Professor Dr. Phil. Aus Oxford viel Wertvolles aus ihren Texten entnehmen können.

Des Weiteren waren für mich die Ausführungen über Körper, Geist und Seele sehr erhellend. Steiners Beschreibung könnte ich mir durchaus treffend vorstellen. Ich hörte mal einen ähnlichen Vergleich, nach dem der Körper wie ein Piano, der Geist wie der Pianist und die Musik die Seele sei. Ich kann mir das von der biblischen Perspektive aus denkbar vorstellen, dort wird (meiner Erinnerung nach - ich werde es noch mal untersuchen müssen) der Begriff „Seele“ austauschbar mir „Leben“, „Mensch“ und auch „Geist“ verwendet.

Wenn die Beschreibung also stimmig ist, stellt sich allerdings eine erschreckende Frage: Wird die Seele dann nicht furchtbaren Schaden nehmen, wenn das Körperliche vergehen muss? Wie ist deine Vorstellung? Wird der Körper vernichtet am Ende und nur der Geist bleibt -Wenn die irdische Verhaftung gelöst wird- ? Wenn ich das richtig verstehe, kann ich auch dein Erschaudern gut nachvollziehen! Dann wird die Seele des Menschen zerstört. Das ist erschreckend. Und merken wir nicht selbst oft, wie groß unser eigener Schaden ist, wenn wir zu lange und zu viel nur mit den geistlichen Aspekten des Lebens beschäftigt waren? Dann schreit unser Körper nach Bewegung, Körperkontakt, Essen und Sonnenuntergängen.

Für mich persönlich wird damit noch viel klarer, warum wir -laut Bibel- auch in unserer ewigen Daseinsform einen Körper haben werden. Zwar einen Neuen, aber nicht so andersartig, dass er nicht mehr erkennbar wäre, wie man am Auferstehungsleib Jesu gesehen hat.

Jedenfalls habe ich viel nachdenken müssen durch deinen Text - und das ist etwas Gutes =)

Ich freue mich übrigens sehr über diese Einschübe - wie übertrieben geil du den Titel von Asimovs Buch findest z.B. - weil man dann auch den 36-jährigen Vater rauslesen kann ;)

Ich dachte ja zu Anfang, du wärst so ein 153 Jahre alter Professor. *=)

Herzlichsten Dank nochmal!

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Avatar von Conrad Knittel

Wow, was für ein Kommentar wieder! Danke :) Ich werde ihm nicht ganz gerecht werden können aktuell, fürchte ich, aber unser Dialog hat ja viel Zeit, hoffe ich!

Zunächst spitzfindig korrigiert: Es war Diarmaid MacCullochs "Christianity: the first 3000 years", dem die übertriebene Geilheit nachgesagt wurde, allerdings ließ ich es absichtlich ein wenig vage, ob ich mich dabei auf das Buch oder den Autor beziehe, beide sind recht knorke. (Das ist mir nur deshalb wichtig, weil das von Asimov genannte Buch einen denkbar unkrassen Titel hat: Guide to the Bible. Es gibt aber auch krasse Titel von Asimov, die sind dann aber science fiction. Was mir als Jugendlicher wirklich gut reinging, auch ohne es überhaupt gelesen zu haben war "The Stars, like Dust", "The Currents of Space" und vor allem "The Gods themselves", letzteres, was ich erst kürzlich herausfand, entlehnt von Schiller, "Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens": "Against stupidity the gods themselves contend in vain". Genug fun facts für einen Kommentar, würde ich mal meinen.)

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Ich glaube, dass diese Komplexität des Forschens für mich eine Notwendigkeit ist, nicht aber für jedermann. Aus meiner Sicht der Dinge heraus bringt jeder Mensch eine gewisse Veranlagung mit, und sucht sich nach Möglichkeit eine Inkarnations-Situation, die seinen Anforderungen gerecht wird, und lebt dann vor allem in den ersten 28 Jahren des Lebens ein Stück weit das karmisch veranlagte aus, wodurch sich Ziele für den Rest des Lebens herauskristallisieren, aber natürlich auch Pflichten und Aufgaben. Übersetzt ohne Inkarnations- und Karma-Gerede: Jeder Mensch ist ein einzigartiges Individuum mit einem individuellen Lebensweg und jenseits der Notwendigkeiten von Atem, Nahrung, Zuwendung etc. gibt es wenig, wobei sich alle über einen Kamm scheren ließen. Das lehrt die Erfahrung. Zu den Notwendigkeiten würde ich aber doch zählen, dass jeder Mensch nach Entwicklung und Wachstum strebt, dass diese in den ersten 21 Jahren stark automatisiert sind, danach immer noch ziemlich von alleine ablaufen, aber dass danach oft Stagnation eintritt, die wir abwenden können, indem wir Forschende bleiben. Das muss aber überhaupt nicht auf einer intellektuellen Ebene stattfinden, die steht einem dabei vielleicht sogar häufiger im Weg. Sehr geeignet ist die berufliche Fachkunde, denke ich, die sich in aller Regel immer weiter vertiefen lässt, und natürlich die Pflege sozialer Beziehungen. Und die Beschäftigung mit spirituellen Quellen, z.B. der Bibel, die auch im Laufe des Lebens immer tiefer eindringen dürfte in das Gemeinte des Textes.

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Zur Frage nach Seele und Geist. Steiner gebraucht diese drei Begriffe einer gewissen Tradition folgend (vllt platonisch, jedenfalls hat er Philosophie studiert und viele Anthroposophen sind der Ansicht, dass Steiner eine Wiederverkörperung von Aristoteles war, naja). Meines Wissens werden beide Begriffe im Griechischen von Begriffen hergeleitet, die etwas mit Luft, Wind, Hauch zu tun haben, was dann auch nicht streng vom Lebens-Begriff unterschieden wird (pneuma, psyche), weil es oft für die gegebenen Zwecke ausreichend war, der Irdische und das Himmlische zu unterscheiden. Steiner will es genauer nehmen (womit er in der Tat in einer gewissermaßen aristotelischen Strömung steht), und unterscheidet im mehr Irdischen den physischen Leib vom Lebensleib (worauf er in der Theosophie aber nicht eingeht) und im Himmlischen das Seelische (Kosmische) vom Geistigen.

Diese können auch noch weiter ausdifferenziert werden, in der Theosophie bietet Steiner bspw. auch eine 7-teilige und eine 9-teilige Gliederung des Menschen an, und den Lebensleib selbst könnte man auch zusammengesetzt aus verschiedenen sogenannten Ätherkräften denken (bei Steiner sind es vier, in der indischen Tradition fünf) -- womit ich nur sagen will, dass es für Steiner nicht die eine metaphysisch korrekte Einteilung gibt, sondern wir die Dinge je nach Perspektive und Zweck aufgliedern können, um über die Dinge überhaupt sprechen zu können.

(Ein Vergleich zur Bibel fällt mir dazu spontan ein: Diese wurde meines Wissens auch nachträglich in Kapitel und Verse eingeteilt, um besser über die einzelnen Stellen reden zu können statt nur über das Ganze.)

Einer anderen aber dennoch Rudolf Steiner folgenden Perspektive nach könnte man auch sagen, dass eigentlich alles Geist ist, Materie ist nur besonders "verdichteter" Geist.

Lange Rede, relativ kurzer Sinn: nach Steiners Kosmologie und Anthropologie bedeutet der Tod eines Menschen, dass sich seine höheren Glieder ab dem Lebensleib vom physischen Leib trennen (während beim Schlaf der Lebensleib im physischen bleibt und sich nur die Bewusstseinsträger Seele&Geist vom Körper lösen). Im Weiteren trennen sich dann aber auch der Lebensleib und der Astralleib (neuer Begriff, ungefähr mit Seele im Steinerschen Sinne gleichzusetzen) vom eigentlich geistigen Kern des Menschen ab. Dieser geistige Kern ist die "ewige Individualität", die im klassisch christlichen Sprachgebrauch der "unsterblichen Seele" entspräche. Das würde zum Bild des Pianisten der auf dem Piano Musik erklingen lässt, ja auch gut passen. Was natürlich die Frage aufwirft, WAS von uns dann eigentlich unsterblich ist. Alles Niedere (aller Egoismus, alle Begierden, alle Triebe, alle Falschheiten, ...) wird uns nicht erhalten bleiben können, sondern muss geläutert werden (was das mittelalterliche Christentum als Fegefeuer konzeptualisiert hat), und nach Steiner bleibt von uns vor allem das übrig, was wir aus dem Gedanklichen (also dem Geistigen) entwickelt haben - z.B. Liebe und Freiheit.

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Man kann Rudolf Steiner folgend dann noch massiv in Details einsteigen, aber das würde wohl zu weit führen. Interessant ist aber Dein Bezug zum "neuen Leib" im "neuen Jerusalem". Es gibt dazu auch ziemlich ins Detail gehende Diskussionen bei anthroposophischen Autoren, mit denen ich nicht langweilen will (die ich auch nicht unbedingt für zielführend halte), aber Steiner führt meiner Erinnerung nach aus, dass der Auferstehungsleib Christi tatsächlich ein physischer Leib war, aber kein materieller. (Das ist erst einmal vllt verwirrend, aber man kann sich mit ein bisschen Aristoteles gut vorstellen, dass der physische Leib die Form (eidos, morphe) bedeutet, die im normalen irdischen Zusammenhang von Materie (hyle) "ausgefüllt" ist, aber nicht notwendigerweise sein muss.

Interessanterweise ist es in der Bibel -- zumindest wenn ich mich nicht ganz falsch erinner -- ja so, dass die Jünger und die Frauen am Grab Jesus in den meisten Fällen eben NICHT sofort erkannten. Meiner Erinnerung nach redet mindestens eine Frau mit ihm, ohne dies sogleich zu erkennen und die Freunde auf dem Weg nach Emmaus erkennen den dritten, der mit ihnen geht, auch im Gespräch nicht, sondern erst, als er das Brot bricht. (Das ist btw. eine krasse Geschichte, die mir Gänsehaut erzeugt, wenn ich nur dran denke. Dazu noch die Zeile von T.S. Eliot in The Waste Land: "Who is the third who walks always beside you?")

Als menschlicher Leib ist er jedenfalls erkennbar, aber auch als dieses Individuum? Wer weiß? :)

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Avatar von Winston

Es gäbe SEHR viel zu diesem Kommentar, zur biblischen Sicht auf Geist, Seele und Leib, zu sagen, aber ich beschränke mich auf Deinen letzten Punkt, den Bericht, wie die Jünger Jesus nach der Auferstehung erstmal nicht erkannten (es war ein Übergangsleib, der aussah wie sein vorheriger Fleischleib (Luk 24,39), denn Thomas konnte die Wunden der Nägel und der Lanze noch betasten).

Hier fällt mir der Bericht ein, als Jesus mit drei Jüngern auf dem Berg der Verklärung (Matth. 17) war: 1) Jesus wurde vor ihren Augen "umgestaltet". 2) "Mose und Elia erschienen ihnen." Die haben sich nicht vorgestellt. Die Jünger haben die beiden auch noch nie vorher gesehen, auch keine Fotos von ihnen. Und doch wussten sie sofort, wer sie waren.

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Avatar von Winston

"Wir müssen lernen, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden."

Marie Schmalenbach hat das vor über 100 Jahren in einem Lied so formuliert:

"Ewigkeit, in die Zeit leuchte hell hinein,

dass uns werde klein das Kleine und das Große groß erscheine,

sel'ge Ewigkeit!"

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Avatar von Hertzdame

Das mit der Neutralität leuchtet mit nicht so ohne weiteres ein. Ich denke, man kann eher neutral sein, wenn man nicht weiß, ob sie stimmt oder nicht. Oder halt, wenn sie neutrale Implikationen hat. Wenn etwas grausige Implikationen hat, wenn es stimmt oder wenn sich durchsetzt, auch wenn es nicht stimmt, wie soll man da neutral sein?

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Avatar von Conrad Knittel

Man kann den Gedanken etwas plump vielleicht noch einmal anders formulieren. Liberalismus ist immer säkular. Damit ist er den Religionen (und anderen Weltanschauungen) gegenüber aber nicht neutral, sondern weißt ihnen einen untergeordneten Wert zu, womit er in der Regel streng genommen in Konflikt mit deren Selbstverständnis gerät. Neutral könnte er in dem Sinne dann trotzdem sein, dass er alle Religionen gleich (nämlich einen nur relativen Wert habend) behandelt, das tut er in der Regel allerdings nicht, weil die kulturell dominante Religion aus verschiedensten Gründen bevorzugt wird.

Ein Beispiel macht das Ganze vielleicht einleuchtender. Eine Abtreibung ist für einen halbwegs orthodoxen Katholiken eigentlich Mord, weil der Mensch mit der Empfängnis entsteht und dann aus niederen Motiven getötet wird. Aus seiner Perspektive ist das nicht eine Lifestyle-Entscheidung. Aus staatlicher Perspektive wird seine Haltung zu dieser Frage aber als Lifestyle-Entscheidung angesehen und behandelt. Ein Staat, der Abtreibung erlaubt, ist dem katholischen Glauben gegenüber darum nicht neutral, sondern behandelt ihn als falsch. (Neutralität wäre auch nicht wirklich möglich, darum geht es in dem Argument aber ja auch. Der Staat trifft notwendigerweise Entscheidungen, die ihn aus der Neutralität hinausschleudern, das ist insofern nicht zu kritisieren. Kritisiert wird die Behauptung des Liberalismus, neutral zu sein.)

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Avatar von Hertzdame

Das war gut erklärt.

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Avatar von Winston

Es gibt so einige Dinge, die in der Schule (in Deutschland herrscht Schulzwang, Homeschooling ist leider nicht erlaubt, nichtmal wenn jemand Pädagoge ist) als Fakten vermittelt werden, die beispielsweise meinem christlichen Glauben widersprechen. Ich muss nicht nur hinnehmen, dass man meinen Kindern solche Dinge aufzwingt, die ich für falsch halte, sondern es wird sogar verlangt, dass ich sie "akzeptiere", also als wahr annehme. Der Staat verhält sich nicht religionsneutral.

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Avatar von Conrad Knittel

Auch ein gutes Beispiel. Ich würde noch ergänzen wollen, weil in Deutschland gerne so getan wird als sei Schulpflicht voll normal, dass es nur sehr wenige Länder mit Schulpflicht gibt. In den meisten Ländern herrscht nur Bildungspflicht, d.h. Homeschooling geht, es finden dann meistens in irgendwelchen Abständen aber staatliche Überprüfungen des Lernstands statt. Also in Belgien gibt es nur FÜR DAS LETZTE KINDERGARTENJAHR eine Schulpflicht, davor und danach kann man ins homeschooling, warum auch viele Homeschooling-willige Eltern von Deutschland nach Belgien übersiedeln :)

(Die Idee der strengen Schulpflicht in Deutschland scheint mir typisch deutsch, hat aber sicherlich auch etwas mit dem Umgang mit der eigenen Vergangenheit im 3. Reich zu tun, wobei die Schulpflicht dieses nicht verhindert hat und im Gegenteil der Staat durch die Schulpflicht eine deutlich stärkere Möglichkeit hat, ALLE KINDER zu indoktrinieren, insofern wohl ein Beispiel für spezifische Kontraproduktivität nach Illich.)

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